Der BGH hat entschieden, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr in dem Zeitpunkt zugegangen ist, wenn sie auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und gelesen wird, ist für den Zugang hingegen nicht erforderlich. Anders hatte dies zuletzt das OLG Hamm gesehen. Doch auch nach dem BGH-Urteil bleiben wichtige Rechtsfragen offen.

Die Frage, wann eine Willenserklärung dem Empfänger zugegangen ist, ist mit § 130 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eigentlich abschließend geregelt. Dennoch haben Gerichte bislang unterschiedlich beurteilt, wann eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr zugegangen ist. Spätestens nachdem das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im März entschieden hatte, dass ein Abmahnschreiben als Dateianhang per E-Mail erst dann zugegangen sei, wenn der Empfänger den Anhang auch tatsächlich geöffnet hat (Urt. v. 09.03.2022, Az. 4 W 119/20), wurden die Rufe nach einer endgültigen Klärung lauter. Dem ist der Bundesgerichtshof (BGH) nun nachgekommen (Urt. v. 06.10.2022, Az. VII ZR 895/21).

Hintergrund des Verfahrens vor dem BGH ist ein Rechtsstreit zwischen einer Frau und einem Bauunternehmen, welches sie 2016 mit der Erbringung von Metall- und Fassadenbegrünungsarbeiten beauftragt hatte. Nach Ausführung der Arbeiten berechnete das Unternehmen der Frau einen Betrag in Höhe von 254.335, 77 Euro netto, woraufhin die Frau dem Unternehmen eine Abrechnungsvereinbarung zusandte und als Schlusszahlung einen Betrag in Höhe von 14.538, 36 Euro anwies.

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Das Bauunternehmen widersprach der Schlusszahlung jedoch und forderte die Frau mit E-Mail vom 14. Dezember 2018 zu einer Zahlung von 14.347, 23 Euro zuzüglich Anwaltskosten in Höhe von 1.029, 25 Euro, insgesamt also zu einer Zahlung von 15.376,48 Euro, auf. In einer weiteren E-Mail knapp eine halbe Stunde später erklärte das Unternehmen daraufhin jedoch, dass sie die Forderungshöhe noch nicht abschließend geprüft hätten und die vorangegangene E-Mail um 9:19 Uhr daher unberücksichtigt bleiben müsse. Kurz darauf legte das Unternehmen der Frau eine Schlussrechnung über eine Rechtsforderung in Höhe von 22.173,17 Euro vor. Dennoch zahlte die Frau lediglich einen Betrag in Höhe von 15.376,48 Euro.

In der daraufhin erhobenen Klage forderte das Bauunternehmen die Zahlung des Differenzbetrages. Nachdem die Klage bereits in den Vorinstanzen vor dem Landgericht (LG) Berlin und dem Kammergericht (KG) Berlin keinen Erfolg hatte (Urt. v. 23.10.2020, Az: 96 O 37/19, 30.11.2021, Az: 21 U 1103/20) scheiterte nun auch die Revision beim BGH.

BGH: Abrufmöglichkeit statt tatsächlicher Kenntnis für Zugang entscheidend

Der BGH stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, die Vorinstanzen seien zu Recht davon ausgegangen, dass sich beide Parteien auf den Abschluss eines Vergleichs nach § 779 BGB geeinigt hätten. So sei die erste E-Mail des Unternehmens nach Ansicht des Gerichts als ein Angebot auf Abschluss eines Vergleichs auszulegen, wonach die Frau insgesamt 15.376,48 Euro an das Bauunternehmen zahlen solle.

Für den Ausgang des Verfahrens war dann allein entscheidend, ob dieses Angebot durch die nachfolgende E-Mail wirksam widerrufen worden ist. Gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB setzt dies voraus, dass der Widerruf dem Empfänger jedenfalls zeitgleich mit der zu widerrufenden Erklärung zugegangen ist. Insofern stellte der BGH erstmals klar, dass jedenfalls in dem Fall, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, sie dem Empfänger in diesem Zeitpunkt zugegangen sei. Denn damit sei die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen könne. Bei Geschäftsleuten sei während der üblichen Geschäftszeit außerdem stets mit der Kenntnisnahme unmittelbar nach Eingang der Nachricht in den elektronischen Briefkasten zu rechnen. Ob die E-Mail vom Empfänger tatsächlich gelesen worden ist, sei für den Zugang hingegen unerheblich. Für den konkreten Fall bedeutete das, dass der Frau das Vergleichsangebot bereits mit der ersten E-Mail um 9:19 Uhr zugegangen sei, der Widerruf hingegen erst mit der zweiten E-Mail eine halbe Stunde später. Somit wertete das Gericht den Widerruf als verspätet, so dass das Angebot weiterhin wirksam gewesen sei.

Indem die Frau anschließend den in der ersten E-Mail geforderten Geldbetrag an das Unternehmen gezahlt habe, habe sie das Vergleichsangebot konkludent angenommen. Der damit vereinbarte Vergleich habe daher zur Folge, dass dem Unternehmen keine über diesen Betrag hinausgehenden Forderung zustehe, so der BGH.

Trotz BGH-Urteil: Wichtige Rechtsfragen weiterhin offen

Mit seinem aktuellen Urteil hat der BGH nun endgültig klargestellt, dass es für den Zugang von E-Mails im unternehmerischen Bereich auf die grundsätzliche Abrufmöglichkeit und nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger ankommt. Wichtig ist jedoch, dass sich die Entscheidung ausdrücklich nur auf den E-Mailversand im unternehmerischen Geschäftsverkehr bezieht und Privatpersonen daher nicht betrifft. Hier erwartete die Rechtsprechung nicht, dass diese Ihre E-Mails mehrmals täglich abrufen, so dass E-Mails unter Privatpersonen regelmäßig erst dann zugegangen sind, wenn der Empfänger die Nachricht tatsächlich abgerufen hat.

Festzuhalten bleibt jedoch, dass mit dem Urteil nicht alle Rechtsfragen gelöst sind. So hat der BGH beispielsweise ausdrücklich die Frage offengelassen, wann eine E-Mail außerhalb der üblichen Geschäftszeiten (zum Beispiel sonntags oder an einem Feiertag) zugeht. Denkbar wäre insofern sowohl ein Zugang im Zeitpunkt des Eingangs auf dem Mailserver als auch erst am nächsten Werktag. Es besteht also weiterhin Klärungsbedarf.

aha