Laut BAG müssen Frauen, die auf eine gleichwertige Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen klagen, nur einen Kollegen finden, der mehr verdient als sie. Das reicht, um die Vermutung einer Geschlechtsdiskriminierung zu begründen. Arbeitgeber müssen sich dann rechtfertigen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass Frauen sich bei Entgeltgleichheitsklagen nicht auf Durchschnittswerte mehrerer männlicher Kollegen stützen müssen, die im Mittel mehr verdienen als sie. Bereits der Vergleich mit einem einzelnen männlichen Kollegen genügt, um die Vermutung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung zu begründen. Arbeitgeber müssen dann objektive Gründe für die Ungleichbehandlung darlegen und beweisen. Gelingt das nicht, hat die Frau einen Anspruch auf dieselbe Bezahlung wie der zum Vergleich herangezogene männliche Kollege (Urt. v. 23.10.2025, Az. 8 AZR 300/24).

Klage auf gleiches Entgelt gegenüber besser bezahltem Kollegen

Geklagt hatte eine Abteilungsleiterin der Daimler Truck AG, die seit fast dreißig Jahren im Unternehmen tätig ist. Sie ist dort seit rund fünfzehn Jahren in leitender Funktion beschäftigt. Nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit stellte sie fest, dass sie deutlich weniger verdiente als ein männlicher Kollege, der auf derselben Hierarchiestufe tätig ist.

Die Frau forderte daraufhin die rückwirkende finanzielle Gleichstellung mit diesem Kollegen (in Höhe von rund 420.000 Euro) und stützte sich dabei unter anderem auf Angaben aus einem unternehmensinternen Entgelt-Dashboard. Dieses Tool dient der Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes und zeigt etwa Medianwerte für bestimmte Beschäftigtengruppen an. Der von ihr benannte Kollege gehört innerhalb der männlichen Beschäftigten auf ihrer Führungsebene zu den Spitzenverdienern.

Daimler Truck stellte die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten in Abrede und argumentierte, die Klägerin erbringe geringere Leistungen. Auch innerhalb der Gruppe weiblicher Führungskräfte liege ihr Gehalt unter dem Median. Die Entgeltdifferenz sei daher sachlich begründet.

Rechtlicher Hintergrund: Anspruch auf gleiches Entgelt

Der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist sowohl im Unionsrecht als auch im nationalen Recht verankert. Ausgangspunkt ist Art. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, die Anwendung dieses Grundsatzes sicherzustellen. Die Vorschrift hat unmittelbare Wirkung und kann von Einzelpersonen unmittelbar vor nationalen Gerichten geltend gemacht werden. Zudem gilt seit 2023 die bis 2026 umzusetzende Entgelttransparenz-Richtlinie.

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In Deutschland ist der EU-Grundsatz insbesondere im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie im Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) konkretisiert. § 3 Abs. 1 EntgTranspG verbietet eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. § 7 EntgTranspG verpflichtet Arbeitgeber zu geschlechtsneutralen Entgeltstrukturen.

Das EntgTranspG räumt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten zunächst einen Auskunftsanspruch ein. Dieser Anspruch bezieht sich allerdings nur auf das Medianentgelt von Beschäftigten des anderen Geschlechts, nicht auf die konkreten Gehälter einzelner Personen. In der Praxis können Arbeitnehmerinnen konkrete Informationen häufig nur über andere Quellen erlangen. Im vorliegenden Fall stützte sich die Klägerin auf ein unternehmensinternes Dashboard, das entsprechende Daten bereithält.

Zudem hilft Frauen die Beweislastumkehr in § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG): Wenn Indizien eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass keine Diskriminierung vorliegt. Sobald die Vermutung greift, ist es also Aufgabe des Arbeitgebers, nachzuweisen, dass objektive Gründe für die Ungleichbehandlung bestehen. Solche Gründe können etwa besondere Qualifikationen, Berufserfahrung, Leistungsunterschiede oder variable Vergütungsbestandteile sein. Diese müssen jedoch nachvollziehbar, überprüfbar und transparent dargelegt werden. Allgemeine oder pauschale Behauptungen genügen nicht.  

Entscheidung der Vorinstanz

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hatte die Hauptanträge der Frau auf Basis dieser Rechtslage abgewiesen. Es war der Ansicht, die Frau könne sich für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung nicht auf eine einzelne männliche Vergleichsperson berufen. Eine Diskriminierung wegen des Geschlechts sei nur dann zu vermuten, wenn die Benachteiligung „überwiegend wahrscheinlich“ sei. Angesichts der großen Vergleichsgruppe und der Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtergruppen sei das nicht der Fall.

Lediglich hinsichtlich einzelner Vergütungsbestandteile sprach das Gericht der Klägerin eine Entgeltdifferenz von 130.000 Euro für vier Jahre zwischen dem Median der männlichen und dem der weiblichen Vergleichsgruppe zu (Urt. v. 01.10.2024, Az. 2 Sa 14/24).

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Revision zum BAG ein.

BAG: Vergleich mit Einzelperson genügt für Vermutungswirkung

Das BAG hob die Entscheidung des LAG nun teilweise auf und verwies den Fall zur weiteren Prüfung zurück. Die Erfurter Richterinnen und Richter stellten klar, dass eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung bereits dann zu vermuten sei, wenn eine Frau darlegt und – im Streitfall – auch beweist, dass ein männlicher Kollege für gleiche oder gleichwertige Arbeit besser bezahlt wird.

Es sei außerdem nicht erforderlich, dass die Benachteiligung „überwiegend wahrscheinlich“ ist. Auch die Größe der Vergleichsgruppe oder die Medianentgelte beider Geschlechtergruppen seien für das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung ohne Bedeutung. Die Heranziehung eines einzelnen besser bezahlten Kollegen sei zulässig und ausreichend. Das Gericht begründete dies mit der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts. Eine zusätzliche Anforderung an die Wahrscheinlichkeit der Diskriminierung sei mit den Vorgaben aus Art. 157 AEUV nicht vereinbar.

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Das Gericht betonte, dass die Klägerin ausreichende Tatsachen für eine Ungleichbehandlung vorgetragen habe, die eine Entgeltbenachteiligung vermuten lassen. Sie habe anhand des Dashboards nachvollziehbar dargelegt, dass der Kollege mit vergleichbarer Tätigkeit besser bezahlt werde. Damit gelte die Vermutungswirkung nach § 22 AGG. Sobald die gesetzliche Vermutung einer Diskriminierung eingreift, trifft den Arbeitgeber die volle Beweislast.

Weiterer Verfahrensverlauf vor dem LAG

Da das BAG nicht abschließend über den Anspruch entscheiden konnte, muss das LAG den Fall erneut verhandeln. Das LAG wird dann zu klären haben, ob Daimler Truck inzwischen objektive Rechtfertigungsgründe vortragen kann. Nur dann kann die gesetzliche Vermutung widerlegt werden. Gelingt dies nicht, hat die Klägerin Anspruch auf Zahlung des Gehalts in Höhe des besser bezahlten Kollegen.

Die bisherige Argumentation des Unternehmens reicht nach Auffassung des BAG jedenfalls nicht aus. Im Verfahren hatte Daimler Truck hauptsächlich pauschal behauptet, die Klägerin arbeite weniger leistungsstark und werde deshalb schlechter bezahlt, sogar schlechter als ihre weiblichen Kolleginnen im Mittelwert. Nach Auffassung des BAG reicht ein solcher Vortrag nicht aus. Die Entgeltfindung im Unternehmen sei zudem nicht transparent. Es fehlten nachvollziehbare Kriterien, auf deren Grundlage sich Unterschiede in der Bezahlung erklären ließen.

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