Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde der Diakonie Deutschland im Fall Vera Egenberger stattgegeben und die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aufgehoben. Der Fall wird an das BAG zurückverwiesen. Die Richter stellten klar, dass die Vorgaben des Europäischer Gerichtshof (EuGH) zwar bindend sind, die deutschen Gerichte aber bei der Abwägung dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ein besonderes Gewicht beimessen müssen (Beschl. v. 29.09.2025, Az. 2 BvR 934/19).

Streit um Kirchenmitgliedschaft bei Stellenausschreibung
Die konfessionslose Sozialpädagogin Vera Egenberger bewarb sich im Jahr 2012 auf eine befristete Stelle bei der Diakonie. Das Projekt, für das sie sich interessierte, hatte einen Schwerpunkt im Bereich Antirassismus. In der Stellenausschreibung wurde die Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche oder einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland als Einstellungsvoraussetzung genannt.
Egenberger war nicht Mitglied einer Kirche. Sie wurde daher nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Daraufhin machte sie eine Entschädigung wegen Diskriminierung geltend. Sie berief sich auf das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, das eine Benachteiligung wegen der Religion oder Weltanschauung verbietet.
Der Rechtsstreit beschäftigte mehrere Instanzen. Das BAG rief den EuGH an, der 2018 entschied, dass eine Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung nur dann zulässig ist, wenn sie für die konkrete Tätigkeit wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist. Der EuGH betonte, dass nationale Gerichte diese Vorgabe voll überprüfen müssen (Urt. v. 17.04.2018, Az. C-414/16). Das BAG folgte dieser Linie und verurteilte die Diakonie zur Zahlung einer Entschädigung.

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Gegen diese Entscheidung legte die Diakonie Verfassungsbeschwerde ein. Die Begründung: Die kirchliche Freiheit, eigene Anforderungen an ihre Mitarbeiter zu stellen, werde nicht ausreichend berücksichtigt.
Karlsruhe stärkt kirchliches Selbstbestimmungsrecht
Das BVerfG hat nun entschieden, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht stärker in die gerichtliche Abwägung einfließen muss. Das Gericht sah keinen Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des EuGH und dem Grundgesetz. Die europäischen Vorgaben bleiben bindend, können aber in Einklang mit der deutschen Verfassung ausgelegt werden.
Nach Auffassung des BVerfG hat das BAG den unionsrechtlichen Rahmen nicht richtig angewendet. Die deutschen Gerichte müssen bei der Auslegung den hohen Rang des kirchlichen Selbstverständnisses nach Artikel 4 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 140 Grundgesetz berücksichtigen.
Die Richter bestätigten dabei die zweistufige Prüfung, die bereits aus früheren Entscheidungen bekannt ist, und konkretisierten diese. In der ersten Stufe geht es darum, ob die Kirche plausibel darlegen kann, dass es sich um eine religiöse Angelegenheit handelt und welche Bedeutung diese nach ihrem Selbstverständnis hat. In der zweiten Stufe müssen die Gerichte eine offene Gesamtabwägung zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und dem Diskriminierungsschutz nach dem AGG vornehmen. Dabei ist der Position der Kirche ein besonderes Gewicht einzuräumen.
Je stärker eine Tätigkeit mit dem kirchlichen Auftrag verbunden ist, desto stärker wiegt das Selbstbestimmungsrecht. Das gilt insbesondere für Tätigkeiten mit Außenwirkung, bei denen der kirchliche Auftrag nach außen vertreten wird, etwa in Bereichen wie Seelsorge oder Verkündigung. Bei solchen Positionen kann die Kirchenmitgliedschaft daher ein rechtlich zulässiges Kriterium sein.
Das Bundesverfassungsgericht machte auch deutlich, dass die Vorgaben des EuGH weiterhin die Grundlage bilden. Die europäischen Anforderungen wie „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ bleiben erhalten. Diese Vorgaben können jedoch durch eine unionsrechtskonforme Auslegung so angewendet werden, dass die verfassungsrechtlich geschützte Stellung der Kirchen gewahrt bleibt.
Damit stärkt das BVerfG den Gestaltungsspielraum der Kirchen, ohne den unionsrechtlichen Diskriminierungsschutz aufzugeben. Der Fall wird nun erneut vor dem BAG verhandelt. Das Gericht muss prüfen, ob die Diakonie plausibel dargelegt hat, dass die Religionszugehörigkeit in diesem konkreten Fall tatsächlich erforderlich war. Erst dann kann entschieden werden, ob die Ablehnung von Vera Egenberger rechtmäßig war.
Bedeutung für kirchliche Arbeitgeber und Bewerber
Die Entscheidung hat weitreichende Folgen. Viele kirchliche Einrichtungen haben ihre Loyalitätsrichtlinien bereits nach der EuGH-Entscheidung von 2018 angepasst. Die neue Entscheidung aus Karlsruhe schafft nun zusätzliche Rechtssicherheit für kirchliche Arbeitgeber. Sie können Religionszugehörigkeit weiterhin als Kriterium heranziehen, wenn sie dieses konkret begründen und in die kirchliche Aufgabenerfüllung einordnen können.
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Für Bewerber bedeutet das: Pauschale Kirchenmitgliedschaften bleiben unzulässig. Wer jedoch auf eine Stelle zielt, die stark mit der kirchlichen Identität verbunden ist, muss künftig mit höheren Hürden für eine erfolgreiche Diskriminierungsklage rechnen.
Die Grundsatzentscheidung des BVerfG dürfte die Praxis kirchlicher Arbeitsverhältnisse in Deutschland prägen. Die Balance zwischen Diskriminierungsschutz und kirchlicher Autonomie wird neu justiert. Die Gerichte haben nun klare Leitlinien, wie sie die europäischen Vorgaben und das nationale Verfassungsrecht miteinander in Einklang bringen müssen.
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Die Entscheidung im Fall Egenberger zeigt, wie komplex die rechtlichen Anforderungen im Bereich kirchlicher Arbeitsverhältnisse geworden sind. Arbeitgeber müssen sehr genau prüfen, wann sie Religionszugehörigkeit als Einstellungskriterium rechtssicher heranziehen können. Bewerber wiederum haben weiterhin Schutzrechte, deren Durchsetzung allerdings eine genaue rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.
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