Die Plattform Openjur durfte eine nicht anonymisierte Gerichtsentscheidung veröffentlichen, obwohl darin sensible Informationen über einen Anwalt standen. Dieser klagte gegen die Veröffentlichung, doch das LG Hamburg stellte sich auf die Seite der Datenbank. Warum das Urteil von besonderer Bedeutung für die Pressefreiheit ist, lesen Sie hier.

Bild: Screenshot OpenJur

Es war ein Verfahren, das weitreichende Folgen hätte haben können. Die Zukunft der gemeinnützigen Plattform Openjur stand auf dem Spiel. Hätte das Landgericht Hamburg anders entschieden, hätte dies nicht nur das Ende für Openjur bedeuten können, sondern auch die freie Dokumentation von Rechtsprechung in Deutschland grundsätzlich infrage gestellt. Doch das Gericht entschied zugunsten von Openjur.

Die juristische Datenbank durfte eine automatisiert übernommene Gerichtsentscheidung mit Klarnamen eines Anwalts im Internet veröffentlichen. Der Anwalt, der gegen die Veröffentlichung wegen Verstoßes gegen das Datenschutzrecht vorging, blieb mit seiner Klage erfolglos. Das Landgericht Hamburg entschied, dass die Tätigkeit von Openjur unter den Schutz der Pressefreiheit falle. Ein Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch bestehe daher nicht (Landgericht Hamburg, Urteil vom 9. Mai 2025, Az. 324 O 278/23).


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OpenJur übernahm automatisiert nicht anonymisierten Beschluss

Ein Anwalt aus Mecklenburg-Vorpommern war in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, ohne es zunächst zu bemerken. Der Grund war eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin aus dem Jahr 2022, in der es um seine Auseinandersetzung mit dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte ging. Hintergrund des Rechtsstreits waren ausstehende Beitragszahlungen an das Versorgungswerk. Der Anwalt war in Zahlungsverzug geraten. Daraufhin hatte das Versorgungswerk die Zwangsvollstreckung gegen ihn betrieben. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens offenbarte der Anwalt nicht nur seine finanzielle Lage, sondern auch Angaben zu seiner beruflichen Vergangenheit. Unter anderem wurde bekannt, dass er zeitweise arbeitslos gewesen war und Arbeitslosengeld bezogen hatte. Diese Informationen fanden sich im Beschluss des Verwaltungsgerichts wieder.

Was der Anwalt nicht wusste: Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz veröffentlichte diesen Beschluss in ihrer Rechtsprechungsdatenbank. Dabei unterlief offenbar ein Fehler, denn der Beschluss war nicht anonymisiert. Der vollständige Name des Anwalts war im Entscheidungstext enthalten. Die juristische Plattform Openjur übernahm den Beschluss automatisiert. Dabei wurde der Name nicht entfernt. Die Entscheidung war daraufhin mit vollständigem Namen und weiteren persönlichen Informationen ein Jahr lang im Internet auffindbar. Auch Suchmaschinen wie Google hatten den Inhalt indexiert.

Erst nach rund zwölf Monaten wurde der Anwalt auf die Veröffentlichung aufmerksam. In einer Abmahnung forderte er Openjur auf, die Entscheidung zu löschen und nicht weiter zugänglich zu machen. Zudem verlangte er Auskunft über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten. Weiter machte er einen immateriellen Schadensersatz geltend. Die Plattform entfernte daraufhin innerhalb weniger Minuten den Namen aus der Entscheidung und informierte den Anwalt über die vorgenommenen Maßnahmen. Dennoch klagte der Anwalt. Er verlangte Unterlassung, Schadensersatz in Höhe von 5.500 Euro und Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Daneben machte er einen Anspruch auf Auskunft geltend, den die Parteien im Laufe des Prozesses übereinstimmend für erledigt erklärten.

Openjur verteidigte sich mit dem Hinweis, man habe die Entscheidung automatisiert aus der öffentlich zugänglichen Datenbank der Senatsverwaltung übernommen. Die Veröffentlichung sei daher nicht auf ein eigenes Verschulden zurückzuführen. Außerdem berief sich Openjur auf die Pressefreiheit. Die Veröffentlichung juristischer Entscheidungen diene dem öffentlichen Interesse. Der Kläger habe durch seine Klage vor dem Verwaltungsgericht selbst den Weg in die Öffentlichkeit gewählt. Man habe keine Veranlassung gehabt, die vom Land Berlin veröffentlichte Entscheidung auf eine mögliche Persönlichkeitsrechtsverletzung hin zu überprüfen.

Datenschutzrechtliche Ausnahme greift

Das LG Hamburg sich hinter diese Argumentation. Nach Ansicht des LGs sei die Veröffentlichung durch Openjur keine rein technische Verbreitung fremder Inhalte. Vielmehr liege eine redaktionelle Tätigkeit vor. Openjur bereite Gerichtsentscheidungen auf, verfolge eine redaktionelle Auswahl und versehe Entscheidungen teilweise mit eigenen Leitsätzen oder Zusammenfassungen. Auch wenn der streitgegenständliche Beschluss automatisiert übernommen worden sei, müsse das Gesamtangebot der Plattform betrachtet werden. Dieses sei geprägt von einer journalistischen Zielsetzung.

Für eine solche journalistische Tätigkeit gelte eine Ausnahme im Datenschutzrecht. Nach Artikel 85 Absatz 2 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) können Mitgliedstaaten Ausnahmen von bestimmten Datenschutzpflichten vorsehen, wenn dies erforderlich ist, um die Meinungs- und Informationsfreiheit zu gewährleisten. In Deutschland ist diese Ausnahmeregelung im nationalen Recht verankert. Das LG Hamburg war überzeugt, dass Openjur unter diese Ausnahmeregelung falle. Daher sei die Veröffentlichung des nicht anonymisierten Beschlusses datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden.

Auch nach nationalem Recht sei ein Unterlassungsanspruch nicht begründet. Zwar beeinträchtige die Veröffentlichung der Entscheidung mit Klarnamen das Persönlichkeitsrecht des Anwalts. Dies gelte insbesondere deshalb, weil die beruflichen und finanziellen Schwierigkeiten des Mannes offengelegt wurden. Ein besonderes öffentliches Interesse an seiner Person habe nicht bestanden. Dennoch habe Openjur gerechtfertigt gehandelt. Die Plattform habe sich auf eine sogenannte privilegierte Quelle verlassen dürfen. Gemeint ist die ursprüngliche Veröffentlichung durch die Berliner Justizverwaltung. Solche amtlichen Quellen genießen nach ständiger Rechtsprechung einen besonderen Vertrauensschutz. Openjur sei daher nicht verpflichtet gewesen, eine eigene Prüfung der Entscheidung vorzunehmen. Erst nachdem der Anwalt auf die fehlende Anonymisierung hingewiesen habe, sei eine Pflicht zum Handeln entstanden. Dieser Pflicht sei die Plattform unverzüglich nachgekommen.

Schließlich wies das Gericht auch den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zurück. Die Norm des Artikels 82 DSGVO sei nicht anwendbar, weil die journalistische Ausnahme greife. Es könne keinen Schadensersatz für eine datenschutzrechtliche Pflichtverletzung geben, wenn die Datenschutzvorgaben auf den konkreten Fall gar nicht anwendbar seien. Auch ein Anspruch auf Geldentschädigung aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) bestehe nicht. Die Veröffentlichung sei durch berechtigte Interessen gedeckt gewesen.

Der ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz wegen verspäteter Auskunft blieb ebenfalls ohne Erfolg. Zwar hatte Openjur die vollständige Auskunft erst Monate nach der ersten Anfrage im Prozess erteilt. Dennoch konnte der Anwalt keinen konkreten Schaden darlegen, der allein durch diese Verzögerung entstanden wäre. Bereits am Tag der Abmahnung habe Openjur dem Kläger mitgeteilt, dass der Beschluss automatisiert übernommen worden sei. Auch sei für den Kläger erkennbar gewesen, welche Daten über ihn öffentlich gemacht worden seien. Daher sei kein weitergehender Kontrollverlust eingetreten.

Wir von WBS.LEGAL haben uns u.a. auf das Datenschutzrecht spezialisiert. Wenn auch Sie z.B. betroffen sind, weil persönliche Daten im Internet veröffentlicht wurden, können Sie sich jederzeit an uns wenden. Wir prüfen, ob eine unzulässige Datenverarbeitung vorliegt und setzen Ihre Rechte durch. Unsere erfahrenen Anwälte stehen Ihnen mit ihrer Expertise im Datenschutzrecht jederzeit zur Seite. Kontaktieren Sie uns gern unverbindlich unter 0221 / 951 563 0 (Beratung bundesweit).