Die EU will Messenger wie WhatsApp und Signal zur Durchleuchtung privater Nachrichten zwingen. Deutschland hat im Oktober 2025 vorerst Nein gesagt. Doch die Gefahr ist noch nicht gebannt – das Gesetz könnte in überarbeiteter Form dennoch kommen.
Am 8. Oktober 2025 hat sich Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) öffentlich gegen den aktuellen Entwurf der „EU-Chatkontrolle“ ausgesprochen. Private Kommunikation dürfe nie unter Generalverdacht stehen. Der Staat dürfe Anbieter von Kommunikationsdiensten nicht verpflichten, private Nachrichten automatisiert zu scannen. Deutschland werde deshalb auf EU-Ebene nicht zustimmen. Mit dieser Haltung verhinderte die Bundesregierung zusammen mit anderen kritischen Staaten eine Mehrheit im EU-Rat. Die geplante Abstimmung über den Vorschlag wurde abgesagt. Das Gesetz ist damit vorerst gestoppt.
Doch dieses Nein ist nicht endgültig. Innerhalb der Bundesregierung war die Position keineswegs einheitlich. Während das SPD-geführte Justizministerium die Pläne ablehnt, sprach sich das unionsgeführte Innenministerium zunächst für eine Zustimmung aus. Auch andere EU-Mitgliedstaaten, die zuvor als kritisch galten, wie etwa Frankreich, haben ihren Widerstand inzwischen aufgegeben.
Eine neue Abstimmung ist bereits für den 6. und 7. Dezember 2025 geplant. Kommt es bis dahin zu einem neuen Kompromissvorschlag – möglicherweise mit kosmetischen Änderungen – und Deutschland stimmt zu, könnte die Chatkontrolle doch noch beschlossen werden. Auch dann wäre das Gesetz zwar noch nicht in Kraft, müsste aber nur noch das Trilog-Verfahren mit Kommission und Europäischem Parlament überstehen. Bislang zeigt sich das Parlament parteiübergreifend skeptisch gegenüber der Chatkontrolle. Dennoch ist der Fortgang des Verfahrens offen.
Hintergrund: Die Pläne zur Chatkontrolle
Seit 2022 arbeitet die Europäische Kommission an einem Gesetz zur Bekämpfung sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet. Ziel ist der Schutz von Kindern vor Missbrauchsdarstellungen, insbesondere in digitalen Kommunikationsräumen. Der Verordnungsvorschlag zur Chatkontrolle sieht vor, dass Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema verpflichtet werden sollen, private Nachrichten ihrer Nutzer bereits vor dem Versand zu durchsuchen. Dabei sollen Bilder, Videos und URLs mithilfe von Datenbanken und künstlicher Intelligenz auf Missbrauchsinhalte geprüft werden – noch bevor sie verschlüsselt und versendet werden. Dieses sogenannte Client-Side-Scanning würde direkt auf dem Gerät des Nutzers stattfinden. Nur reine Textnachrichten wären nach dem aktuellen Entwurf vom Scannen ausgenommen.
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Besonders brisant: Die Durchsuchung würde automatisch und ohne konkreten Verdacht erfolgen. Damit würden sämtliche Nutzerinnen und Nutzer unter Generalverdacht gestellt – unabhängig davon, ob ein konkreter Hinweis auf eine Straftat vorliegt. Laut aktuellem Entwurf soll die Maßnahme allerdings nicht für staatliche Akteure wie Polizei, Militär oder Geheimdienste gelten. Deren Kommunikation wäre ausdrücklich von der Chatkontrolle ausgenommen.
Rechtlich hochumstritten – technisch gefährlich
Die Kritik an diesem Gesetzesvorhaben ist seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2022 massiv. Datenschutzexperten, IT-Sicherheitsexperten, Juristen und zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen lehnen die Chatkontrolle in ihrer aktuellen Form geschlossen ab. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam bereits zu dem Schluss, dass der Vorschlag mit der EU-Grundrechtecharta nicht vereinbar sei. Insbesondere Art. 7 (Recht auf Achtung des Privatlebens), Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten) und Art. 11 (Meinungsfreiheit) seien betroffen.
Inhaltlich bezieht sich die Kritik vor allem auf die präventive Massenüberwachung. Das Vorhaben überschreite die Grenze dessen, was in einem demokratischen Rechtsstaat zulässig ist. Der Einsatz fehleranfälliger Algorithmen und die Aufhebung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung würden eine neue technische Infrastruktur der Überwachung schaffen – mit weitreichenden Folgen. Signal, Threema und andere sichere Messenger haben bereits angekündigt, sich im Falle einer Umsetzung der Verordnung aus der EU zurückzuziehen.
Zudem warnen Experten vor einem sogenannten „Chilling Effect“. Wenn Menschen davon ausgehen müssen, dass ihre private Kommunikation automatisch mitgelesen wird, ändern sie ihr Verhalten. Sie verzichten womöglich auf bestimmte Meinungsäußerungen oder Themen – etwa aus politischen, beruflichen oder persönlichen Gründen. Für Berufsgruppen wie Journalistinnen, Anwälte, Aktivistinnen oder Whistleblower wäre ein solcher Überwachungsmechanismus besonders bedrohlich.
Was wäre die Alternative zur Chatkontrolle?
Niemand stellt in Frage, dass sexueller Missbrauch von Kindern ein ernstes Problem darstellt – auch im digitalen Raum. Behörden enttarnen immer wieder Netzwerke, die kinderpornographisches Material tauschen oder verbreiten. Das Problem ist real – doch die Mittel müssen rechtsstaatlich bleiben.
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Das Europäische Parlament hat einen Alternativvorschlag unterbreitet, der Kinderschutz und Grundrechte miteinander in Einklang bringen soll. Anbieter sollen verpflichtet werden, ihre Plattformen technisch sicherer zu gestalten, etwa durch Schutzmechanismen gegen Grooming und gezielte Kontaktbeschränkungen. Illegale Inhalte sollen weiterhin konsequent gelöscht werden – aber nur, wenn ein konkreter Verdacht oder ein Hinweis vorliegt. Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung soll nicht angetastet werden. Strafverfolgung soll sich wie bisher auf Verdachtsfälle konzentrieren und gerichtlicher Kontrolle unterliegen.
Fazit und Ausblick
Das vorläufige Nein Deutschlands war ein wichtiger Schritt im Kampf für die digitale Freiheit. Doch es bleibt ein Zwischenerfolg. Das Gesetzesvorhaben ist weiterhin auf der politischen Agenda. Die nächsten Wochen und Monate werden entscheidend sein.
Sollte die EU Chatkontrolle in überarbeiteter Form beschließen, drohen weitreichende Konsequenzen für den digitalen Alltag in Europa. Neben der Einschränkung der Privatsphäre könnten auch vertrauliche berufliche Kommunikation und die freie Meinungsäußerung erheblich beeinträchtigt werden. Es wäre ein Präzedenzfall, der den Weg für weitere Überwachungstechnologien ebnet.
Zivilgesellschaftlicher Druck hat bereits einmal Wirkung gezeigt. Umso wichtiger ist es, informiert zu bleiben, sich einzubringen und den öffentlichen Diskurs zu führen. Der Schutz von Kindern darf nicht gegen die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger ausgespielt werden. Wir brauchen durchdachte, rechtsstaatliche Lösungen – keine digitale Massenüberwachung.
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