Tarifverträge dürfen für gelegentliche Nachtarbeit höhere Zuschläge vorsehen als für regelmäßige Nachtarbeit. Das hat das BAG nun per Grundsatzurteil entschieden, nachdem das BAG zuvor den EuGH gefragt hatte. Die Ungleichbehandlung müsse aber durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein.

Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat mit seiner Entscheidung vom 22. Februar 2023 (Az. 10 AZR 332/20) geurteilt, dass Tarifverträge  zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit unterscheiden und daran anknüpfend unterschiedlich hohe Zuschläge zum Stundenentgelt festlegen dürfen. Dies verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Entscheidend sei, dass diese Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.  

Geklagt hatte eine bei dem beklagten Coca-Cola Getränkekonzern in Ostdeutschland angestellte Arbeitnehmerin, die dort auch Nachtarbeit ableistete. Zwischen den beiden Arbeitsvertragsparteien gilt der Manteltarifvertrag zwischen der Gewerkschaft der Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. aus dem Jahr 1998, welcher regelt, dass bei unregelmäßiger Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 % zum Stundenentgelt gezahlt wird, bei regelmäßiger Nachtarbeit ein Zuschlag von 20%. Manteltarifverträge enthalten Regelungen zu den allgemeinen Rahmenbedingungen von Arbeitsverhältnissen in einer bestimmten Branche. Ausgehandelt werden Manteltarifverträge zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften und sind zumeist mehrere Jahre lang gültig oder enthalten gar keine feste Laufzeit. 

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Arbeitnehmerin sieht Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz  

Die Klägerin fühlte sich durch den streitgegenständlichen Manteltarifvertrag benachteiligt. In der Zeit von Dezember 2018 bis Juni 2019 arbeitete sie im Rahmen eines Wechselschichtmodells in regelmäßiger Nachtarbeit und erhielt somit nur einen Zuschlag von 20%. Sie sah in der unterschiedlichen Höhe der Nachtarbeitszuschläge einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und klagte vor dem Arbeitsgericht Berlin (Az.: 39 Ca 9899/19) auf Nachvergütung in Höhe der Differenz zwischen dem Zuschlag für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit. Nach ihrer Ansicht gäbe es unter dem Gesichtspunkt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes keinen sachlichen Grund für die ungleiche Behandlung der zwei Vergleichsgruppen. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die regelmäßig Nachtarbeit ableisten, seien viel höheren Gesundheitsgefährdungen und Störungen ihres sozialen Umfelds ausgesetzt, so die Argumentation der Klägerin. Bereits 2018 entschied das BAG zu dieser Thematik, dass der Gesundheitsschutz allein eine Differenz bei den Zuschlägen nicht rechtfertige. 

Während das Arbeitsgericht Berlin die Klage abwies, änderte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 12 Juni 2020 auf Berufung der Klägerin das Urteil und gab der Klage teilweise statt (Az.: 8 Sa 2029/19). Zu Unrecht entschied nun das BAG, nachdem der Beklagte Konzern Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts einlegte. 

Differenzierung bei Nachtarbeitszuschlägen liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien 

Die Erfurter Richter und Richterinnen entschieden mit ihrem Urteil vom 22. Februar, 2023 dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit unterschiedlich hohe Zuschläge vorsieht, nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Erforderlich ist jedoch ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung, welcher dem Tarifvertrag zu entnehmen ist. 

Vorliegend seien die Arbeitnehmenden, die regelmäßige Nachtarbeit leisten und solche, mit unregelmäßiger Nachtarbeit zwar miteinander vergleichbar. Auch werden diese zwei Vergleichsgruppen durch den unterschiedlich hoch ausfallenden Nachtarbeitszuschlag ungleich behandelt. Allerdings sei dem hier geltenden Manteltarifvertrag ein erkennbar sachlicher Grund zu entnehmen. Zum einen beinhalte dieser Manteltarifvertrag einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen der Nachtarbeit und habe damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag, vgl. § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz.

Zum anderen sollen hiermit auch Nachteile der unregelmäßigen Nachtarbeit, aufgrund schlechterer Planbarkeit der Arbeitseinsätze, ausgeglichen werden. Im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten Tarifautonomie sei es den Tarifvertragsparteien auch nicht verwehrt, mit den Zuschlägen für die Nachtarbeit neben dem Gesundheitsschutz auch weitere Zwecke zu verfolgen. Die Höhe der Differenz bei den Zuschlägen liege dabei im Ermessen der Tarifvertragsparteien und kann in freier Entscheidung getroffen werden. Eine Prüfung der Angemessenheit dieser prozentualen Unterschiede beim Zuschlag nahm das BAG nicht vor, da es den Tarifvertragsparteien obliege, wie sie die schlechtere Planbarkeit bei unregelmäßiger Nachtarbeit finanziell ausgleichen. 

Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung? 

Neben diesem Sachverhalt, befasste sich das BAG an diesem Tag mit weiteren ähnlich gelagerten Fällen in der Süßwarenindustrie sowie der Milch- und Käseindustrie, unter anderem in einem Fall des Nestlé-Konzerns zum Bundesmanteltarifvertrag Süßwaren (West). Auch hier lehnte das BAG jeweils einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz ab. Die Gewerkschaft NGG gab an, das derzeit knapp 400 Verfahren zum Thema der Nachtschichtzuschläge vor dem Bundesarbeitsgericht anhängig sind. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass dieses Grundsatzurteil sich auf die offenen Verfahren auswirken wird und im Einzelfall geklärt werden muss, ob sachliche Gründe vorliegen, die eine unterschiedliche Höhe der Zuschläge rechtfertigen. 

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