Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer
Eine Behinderung kann dazu führen, dass ein Mitarbeiter am Arbeitsplatz besondere Bedürfnisse hat. Damit Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz deswegen nicht benachteiligt werden, hat der Gesetzgeber eine Reihe von Rechten geschaffen, die es besonders schwerbehinderten Arbeitnehmern ermöglichen soll, ihrer Arbeit optimal nachzugehen. Dabei werden sie bereits bei der Bewerbung, aber auch bei einer Kündigung, besonders geschützt. Zudem gibt es einige Ansprüche, die Ihnen auch während der Beschäftigung zustehen. Welche Rechte dies im Einzelnen sind und ab wann Sie sich auf diese Rechte berufen können, erfahren Sie im folgenden Text.
Auf einen Blick
- Menschen gelten als „schwerbehindert“, wenn ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 festgestellt wurde.
- Personen mit einem Behinderungsgrad von 30 bis 50 Prozent können sich Schwerbehinderten gleichstellen lassen, um die gleichen Rechte am Arbeitsplatz geltend zu machen.
- Schwerbehinderte Arbeitnehmer werden vom Gesetzgeber besonders geschützt, wie z.B. einen erhöhten Kündigungsschutz, einen Anspruch auf fünf zusätzliche Urlaubstage pro Kalenderjahr und eine besondere Ausstattung ihres Arbeitsplatzes.
- Schwerbehinderte oder gleichgestellte Personen genießen einen besonderen Kündigungsschutz – das bedeutet jedoch nicht, dass sie unkündbar sind. Es gelten jedoch bestimmte Auflagen.
- Wurden Sie als Schwerbehinderter gekündigt, sollten Sie den Rat eines Rechtsanwaltes einholen, um Ihre Rechte im Einzelfall durchzusetzen.
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Wann gelten Menschen als „schwerbehindert“?
Um eine bessere Einordnung zu ermöglichen, wird die Behinderung in „Grad“ angegeben. Ab einem Grad von 20 hat man eine Behinderung. Bei der Maximalzahl 100 wird eine sehr schwere Behinderung angenommen. Welcher Grad der Behinderung (GdB) genau vorliegt, muss von einem Arzt festgestellt werden.
Folgende Arten einer Behinderung sind u.a. denkbar:
- Geistige Behinderung
- Körperliche Behinderung
- Lernbehinderung
- Hör- und Sehschädigung
- Verhaltensstörung
- Sprachbehinderung
Ab wann man als schwerbehindert gilt, ist in § 2 Abs. 2 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) geregelt. Von einer Schwerbehinderung spricht man danach, soweit ein GdB von mindestens 50 festgestellt worden ist. Um in den Anwendungsbereich der Regelungen zu fallen, ist es allerdings erforderlich, dass Betroffene ihren regelmäßigen Wohnsitz in Deutschland haben bzw. sich in der Regel hier aufhalten.
Wenn Sie denken, dass dies bei Ihnen zutreffen könnte, können Sie den Grad der Behinderung feststellen lassen. Dafür müssen Sie einen Antrag bei dem für Sie zuständigen Amt stellen (§ 152 Abs. 1 SGB IX). Dies beinhaltet das Ausfüllen eines Fragebogens, bei dem sehr detailliert nach Ihren Krankheiten, gesundheitlichen Problemen und behandelnden Ärzten gefragt wird. Entscheidet das Amt, dass Sie einen GdB ab 50 haben, erhalten Sie einen Schwerbehindertenausweis und gelten dann unter anderem auch ggü. ihrem Arbeitgeber als schwerbehindert.
Überblick: Gesetzliche Regelungen für Arbeitnehmer mit Behinderung
Der Hintergrund des gesetzlichen Schutzes Schwerbehinderter ist, dass nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz (GG) niemand benachteiligt werden darf, weil er eine Behinderung hat.
Bezogen auf Arbeitnehmer im Speziellen ist dies nochmal in § 164 Abs. 2 SGB IX festgehalten. Dort steht, dass ein Arbeitgeber einen schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht aufgrund seiner Behinderung benachteiligen darf.
Was genau als Benachteiligung gewertet wird, konkretisiert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Darunter fällt z.B. eine Benachteiligung bei der Einstellung, bei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses selbst oder bei einer Kündigung.
Die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer sind in den §§ 151 – 175 SGB IX geregelt. Diese beinhalten Regelungen zur Pflicht des Arbeitgebers, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen, sowie spezielle Regelungen zum Kündigungsschutz.
Gleichstellung
Für Personen, die einen Grad der Behinderung von 30 oder 40 haben, gibt es die Möglichkeit, sich als „gleichgestellt“ mit schwerbehinderten Menschen anerkennen zu lassen. Das bedeutet, dass Sie genauso wie Personen ab einem Grad der Behinderung von 50 geschützt werden. Das beinhaltet vor allem, dass Sie besonderen Schutz bei einer Kündigung Ihres Arbeitgebers genießen (gem. § 168 SGB IX). Die Voraussetzungen dafür sind folgende:
- Sie müssen sich regelmäßig in Deutschland aufhalten bzw. Ihren regelmäßigen Wohnort in Deutschland haben.
- Ihnen ist es aufgrund Ihrer Behinderung nicht möglich, einen geeigneten Arbeitsplatz zu bekommen oder zu behalten, wenn die Gleichstellung nicht erfolgt.
- Die Gleichstellung muss die Agentur für Arbeit aussprechen.
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Pflichten Arbeitgeber
Sind Arbeitgeber verpflichtet, schwerbehinderte Arbeitnehmer einzustellen?
Unter bestimmten Voraussetzungen: Ja – gem. § 154 Abs. 1 SGB IX müssen alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber, die mehr als 20 Arbeitsplätze verfügen, mindestens 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze an schwerbehinderte Menschen vergeben. Als Arbeitsplatz gilt dabei jede Stelle, auf die Arbeitnehmer oder Auszubildende beschäftigt werden.
Wenn der Arbeitgeber dieser Pflicht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern nicht nachkommt, muss er als Strafe für jeden unbesetzten Platz eine Ausgleichsabgabe zahlen. Dieser Betrag liegt in der Regel zwischen 105,00 und 290,00 Euro im Monat. Durch diese Ausgleichszahlung kann er sich jedoch nicht von der Verpflichtung der Beschäftigung „freikaufen“. Grundsätzlich ist er auch weiterhin dazu verpflichtet, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer zu beschäftigen.
Allerdings gibt es für Schwerbehinderte auch keine Möglichkeit, auf eine Einstellung zu bestehen. Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, einen bestimmten schwerbehinderten Arbeitnehmer einzustellen.
Beschäftigung und Gestaltung des Arbeitsplatzes
Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer so einzusetzen, dass Sie Ihre Fähigkeiten und Kenntnisse optimal nutzen und weiterentwickeln können. Es sollte genau darauf geachtet werden, dass keine Unter- oder Überforderung auftritt.
Außerdem sind Sie bei betrieblichen und außerbetrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen in besonderem Maße zu berücksichtigen.
Der Arbeitgeber hat darüber hinaus dafür zu sorgen, dass der entsprechende Arbeitsplatz behindertengerecht gestaltet wird, z.B. durch technische Hilfen, wenn diese erforderlich sind. Dafür steht Arbeitgebern auch die Möglichkeit der staatlichen Bezuschussung zur Verfügung. Außerdem muss bei der Arbeitsorganisation und bei der Arbeitszeit ebenfalls Rücksicht auf die Art der Behinderung gelegt werden. In einigen Fällen, z.B. wenn die Leistungsfähigkeit des schwerbehinderten Arbeitnehmers nachlässt, hat dieser einen Anspruch auf einen sog. Schonarbeitsplatz
Eine Grenze finden die Ansprüche der schwerbehinderten Arbeitnehmer nur, wenn die Maßnahme, zu der der Arbeitgeber verpflichtet ist, für ihn „unzumutbar“ ist. Ist es z.B. aufgrund der Art der Tätigkeit oder der Art des Betriebes nicht möglich, in Teilzeit zu arbeiten, dann haben Sie als schwerbehinderter Arbeitnehmer auch keinen Anspruch darauf. Ob eine Maßnahme im Zweifel unzumutbar ist oder nicht, muss das Arbeitsgericht immer für den konkreten Einzelfall entscheiden.
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Rechte Arbeitnehmer
Kündigungsschutz
Das Wichtigste vorweg: Auch mit einer Schwerbehinderung oder als Gleichgestellter sind Sie nicht grundsätzlich unkündbar.
Anders als bei gesunden Arbeitnehmern muss der Arbeitgeber aber die Zustimmung zur Kündigung bereits vor der Kündigung bei dem zuständigen Integrationsamt einholen (§ 168 SGB IX). Das Integrationsamt prüft dann, ob die geplante Kündigung aufgrund der Behinderung oder aus einem anderen Grund erfolgt. Dies soll einer Diskriminierung aufgrund der Behinderung entgegenwirken. Dieser Kündigungsschutz greift aber erst, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem schwerbehinderten Arbeitnehmer bereits seit sechs Monaten besteht (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
Die Zustimmung des Integrationsamtes ist auch dann vor einer Kündigung einzuholen, wenn die Behinderung des Arbeitnehmers noch nicht als Schwerbehinderung anerkannt worden ist. Wichtig ist, dass der Arbeitnehmer nur „objektiv schwerbehindert“ sein muss. Es reicht, wenn nach objektiven Maßstäben ein Grad der Behinderung von 50 oder mehr vorliegt, unabhängig davon, ob dieser bereits festgestellt wurde. Dies hat den Hintergrund, dass bei einem Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung und einer dementsprechenden Entscheidung oft Wochen, wenn nicht gar Monate liegen können. Im Sinne des § 168 SGB IX sollen schwerbehinderte Arbeitnehmer aber auch dann vollumfänglich geschützt sein. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber Belege dafür vorlegen kann, dass er den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung eingereicht hat.
Außerdem muss das Integrationsamt auch dann vorher angehört werden, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf einer Kündigung beruht, wie z.B. im Falle einer teilweisen Erwerbsminderung, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit auf Zeit.
Der Arbeitgeber muss außerdem auch die Schwerbehindertenvertretung vor der Kündigung kontaktieren und über die geplante Kündigung in Kenntnis setzen. Die Schwerbehindertenvertretung muss der Kündigung zwar nicht explizit zustimmen, sie ist aber zuvor anzuhören. Dazu ist der Arbeitgeber unabhängig von der Dauer, seitdem das Arbeitsverhältnis besteht, verpflichtet. Die Sechs-Monats-Regel, wie bei der Zustimmung des Integrationsamts, gilt hier nicht. Kündigt Ihnen der Arbeitgeber, ohne zuvor mit der Schwerbehindertenvertretung gesprochen zu haben, dann ist eine solche Kündigung unwirksam (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX). Dies gilt auch für Gleichgestellte.
Sollte der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung keine Kenntnis von Schwerbehinderung des Arbeitnehmers haben, dann sind Sie gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber spätestens innerhalb von drei Wochen (plus 1-2 Tage) nach der Kündigung über Ihre Schwerbehinderung zu informieren. Sollten Sie dies nicht tun, dann steht es Ihnen nicht mehr zu, sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu berufen.
Zusatzurlaub
Einem schwerbehinderten Arbeitnehmer steht bezahlter Zusatzurlaub in Höhe von 5 Arbeitstagen im Jahr zu (§ 208 SGB IX). Dieser wird aber nur anteilig gewährt, d.h. arbeiten Sie lediglich 2 Tage in der Woche, dann wird Ihnen auch nur ein Zusatzurlaub von 2 Tagen gewährt. Gleichgestellte haben hingegen keinen Anspruch auf Zusatzurlaub. Das ist gesetzlich gem. § 151 Abs. 3 SGB IX ausgeschlossen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat zudem 2012 entschieden, dass Urlaub, der krankheitsbedingt nicht genommen werden kann, nicht einfach verfällt (BAG, Urt. v. 07.08.2012, 9 AZR 535/10). Dies betrifft nicht nur schwerbehinderte Arbeitnehmer, sondern alle Arbeitnehmer, die eine lange Erkrankung erleiden. Nicht genommener Urlaub verfällt daher erst 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres. Das gilt auch dann, wenn dies nicht explizit in einem Arbeits- oder Tarifvertrag festgehalten ist. Diese Regelung betrifft auch den zu gewährenden Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer.
Recht auf Befreiung von Mehrarbeit
Schwerbehinderte Menschen sind zudem auf Ihr eigenes Verlangen hin von Mehrarbeit freizustellen (§ 207 SGB IX). Mehrarbeit im Sinne des Gesetzes ist jede Arbeitszeit, die über die gesetzliche Zeit von 8 Stunden Arbeit am Tag hinausgehen. Das bedeutet, dass es Ihnen erlaubt ist, eventuelle Überstunden gegenüber Ihrem Arbeitgeber zu verweigern, wenn Sie an diesem Tag bereits 8 Stunden gearbeitet haben.
Haben Sie mit Ihrem Arbeitgeber aber eine Tagesarbeitszeit vereinbart, die unter 8 Stunden liegt, dann kann Ihr Arbeitgeber durchaus verlangen, dass Sie bei Bedarf Überstunden ableisten. Erst ab einer Stundenanzahl von 8 Stunden am Tag ist Schluss.
Möchten Sie sich generell von Mehrarbeit befreien lassen, dann sollten Sie das am Besten in Form eines schriftlichen Freistellungsverlangens tun. Ein Anspruch auf Befreiung von Nachtarbeit steht Ihnen in aller Regel aber nicht zu.
Muss die Behinderung im Bewerbungsgespräch erwähnt werden?
Schwerbehinderte Bewerber sind grundsätzlich nicht verpflichtet, für sie ungünstige Umstände von sich aus mitzuteilen. Im Vorstellungsgespräch muss eine Behinderung oder Schwerbehinderung nicht erwähnt werden. Wird die Frage trotzdem gestellt, muss nicht wahrheitsgemäß geantwortet werden. Dem Bewerber steht offiziell ein „Recht zur Lüge“ zu.
Dies gilt jedoch nicht, wenn der Bewerber erkennen muss, dass er aufgrund seiner Behinderung nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sein wird, die von ihm geforderte Arbeit zu erbringen. Dann muss er den potentiellen Arbeitgeber über diese Einschränkung informieren.
Wichtig! Zulässig ist die Frage nach einer Behinderung in den Fällen, in denen die Einstellung von Schwerbehinderten unternehmensseitig gezielt gefördert werden soll. In diesem Fall läge durch die Offenbarung des Bewerbers entsprechend keine Diskriminierung vor – im Gegenteil, er würde besonders bevorzugt.
Übrigens: Sollte er Sie einstellen, ist es ihm auch nicht erlaubt, Sie in den ersten sechs Monaten nach Beginn des Arbeitsverhältnisses nach einer möglichen Schwerbehinderung zu fragen. Erst danach ist es ihm gestattet, denn diese Information kann für das Verfahren bei einer möglichen Kündigung nötig werden. Sollte der Arbeitgeber Sie aber nicht von sich aus darauf ansprechen, sind Sie nicht verpflichtet, Ihrem Arbeitgeber unaufgefordert von Ihrer Schwerbehinderung zu erzählen.
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- In Deutschland gibt es 1,2 Millionen schwerbehinderte Beschäftigte.
- 23 % der schwerbehinderten Arbeitnehmer in DE geben an, Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben. (Quelle: DGB 2018)
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