Ein Tinder-Profil, ein Verweis und die große Frage nach der Grenze zwischen Privatleben und Pflichterfüllung in Uniform. Der Fall der Bundeswehr-Offizierin Anastasia Biefang hat bundesweit Debatten ausgelöst. Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden – aber anders, als viele gehofft hatten. Warum Karlsruhe sich nicht mit dem Grundrechtskonflikt beschäftigt hat und was das für die Zukunft bedeutet, lesen Sie hier.
Der Fall der Bundeswehr-Offizierin Anastasia Biefang und ihres Tinder-Profils hatte bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht (BverfG) die Verfassungsbeschwerde der Offizierin nicht zur Entscheidung angenommen. Das Gericht entschied, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil die Offizierin nicht ausreichend dargelegt habe, warum sie weiterhin rechtlichen Schutz benötige. Der gegen sie ausgesprochene disziplinarische Verweis sei zum Zeitpunkt der Beschwerde bereits tilgungsreif gewesen. Eine inhaltliche Entscheidung zur grundrechtlichen Problematik erfolgte daher nicht (Bundesverfassungsgericht, 20. März 2025, 2 BvR 110/23).
Ein Tinder-Profil und seine Folgen
Anastasia Biefang war Oberstleutnant der Bundeswehr. Sie war zwischenzeitlich Bataillonskommandeurin und hatte Personalverantwortung für rund 1000 Soldatinnen und Soldaten. Im Jahr 2019 legte sie ein Profil auf der Dating-Plattform Tinder an. Dort veröffentlichte sie ein Foto von sich und schrieb in der Beschreibung „spontan lustvoll trans* offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome„. Das Profil der Offizierin enthielt wohlgemerkt keinerlei Bezug zur Bundeswehr. Dass sie Angehörige der Bundeswehr ist, konnte nur erkennen, wer die Dating-Plattform Tinder als registrierter Nutzer besuchte und sie darüber hinaus entweder persönlich oder aus den Medien kannte. Dennoch wurde der Dienstherr auf den Inhalt aufmerksam. Der zuständige Disziplinarvorgesetzte verhängte im August 2019 einen Verweis gegen sie. Es war die mildeste Disziplinarmaßnahme, die das Wehrdisziplinarrecht kennt.
Biefang akzeptierte den Verweis nicht. Sie wehrte sich zunächst vor den Truppendienstgerichten und schließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Alle Instanzen inklusive des BVerwG (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022, Az. 2 WRB 2.21) hielten den Verweis für rechtmäßig. Die Gerichte vertraten die Auffassung, dass das Profil die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verletze. Diese Pflicht verpflichtet Soldatinnen und Soldaten dazu, sich auch in ihrer Freizeit so zu verhalten, dass Achtung und Vertrauen nicht beeinträchtigt werden. Die Gerichte waren der Meinung, dass der Profiltext Zweifel an der charakterlichen Integrität der Offizierin aufkommen lassen könne. Gerade wegen ihrer hervorgehobenen Stellung als Kommandeurin sei Zurückhaltung geboten.
Biefang sah in der Maßnahme eine Verletzung ihrer Grundrechte. Unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erhob sie Verfassungsbeschwerde. Sie machte geltend, dass ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt sei. Auch ihre Gleichbehandlung sowie ihre Meinungsfreiheit seien nicht gewahrt. Sie argumentierte, dass ihr Verhalten keinen Schaden anrichte und moralische Vorstellungen nicht ausreichen dürften, um Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen. Zudem sah sie eine strukturelle Benachteiligung queerer Menschen in der Bundeswehr.
Sie wollte daher vor dem höchsten deutschen Gericht klären lassen, ob die Ausübung sexueller Freiheit im privaten Raum – auch über Dating-Plattformen – für Staatsbedienstete geschützt ist. Der Fall sollte damit eine Signalwirkung entfalten, insbesondere gegen die wiederholte Anwendung konservativer Sittlichkeitsmaßstäbe auf das Privatleben von queeren Angehörigen der Streitkräfte.
Biefang-Verfassungsbeschwerde nicht angenommen
Das BVerfG ließ die Verfassungsbeschwerde jedoch nun nicht zur Entscheidung zu. Es stellte dabei aber nicht auf die inhaltlichen Argumente ab. Vielmehr fehle es bereits an einem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis. Der Verweis gegen Biefang sei nach der Wehrdisziplinarordnung bereits vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde tilgungsreif gewesen. Damit habe die Maßnahme als erledigt gegolten. Eine Beschwerde dagegen sei nur dann zulässig, wenn besondere Gründe wie eine Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitationsinteresse substantiiert dargelegt werden. Dies habe Biefang aber nicht rechtzeitig getan. Sie habe erst nach Ablauf der Monatsfrist zur Begründung der Beschwerde vorgetragen, dass sie sich dennoch weiterhin beeinträchtigt fühle.
Die Tilgungsfrist für einfache Disziplinarmaßnahmen wie einen Verweis beginne bereits mit dem Tag der Verhängung und könne nicht durch Rechtsmittel gehemmt werde. Die Verfassungsbeschwerde sei somit auf ein bereits getilgtes Disziplinarverfahren gerichtet, was ihre rechtliche Wirkung infrage stelle. Auch die besonderen Schutzwirkungen der Tilgungsreife nach der Wehrdisziplinarordnung spreche nach Ansicht des BVerfG gegen ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse.
Auch Biefangs Argumentation, wonach eine von ihr erhobene Anhörungsrüge die Frist offengehalten habe, überzeugte das BVerfG nicht. Die Anhörungsrüge sei aus Sicht der Richter offensichtlich aussichtslos gewesen. Sie sei nicht geeignet gewesen, eine Gehörsverletzung des BVerwG darzulegen. Damit habe die Rüge die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht beeinflusst.
Ein nicht geklärter Grundrechtskonflikt
Die Entscheidung des BVerfG bedeutet nicht, dass die Verfassungsrichter die Argumente von Biefang zurückgewiesen hätten. Sie haben sich mit der Frage, ob das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durch den Verweis verletzt wurde, überhaupt nicht befasst. Das Verfahren endete vor der inhaltlichen Prüfung, weil eine formale Voraussetzung fehlte. Die Richter betonten allerdings, dass die Verfassungsbeschwerde bereits in ihrer ursprünglichen Einreichung auf die Tilgungsreife hätte eingehen müssen. Der spätere Nachtrag reichte nicht aus.
Das lässt viele Fragen offen. Die Debatte um den Fall hatte deutlich gemacht, dass es in der Truppe und darüber hinaus Unsicherheit gibt, wie privat das Privatleben von Soldatinnen und Soldaten sein darf. Zahlreiche Fachbeiträge hatten kritisiert, dass das Bundesverwaltungsgericht zu konservative Maßstäbe angelegt habe. Besonders die Herleitung eines Pflichtverstoßes aus vermeintlichen Integritätserwartungen unbestimmter Dritter wurde als problematisch angesehen. Kritiker warnten davor, dass so ein Einfallstor für willkürliche Disziplinarmaßnahmen entstehe. Auch wurde kritisiert, dass das Gericht ohne wissenschaftliche Grundlage über moralische Erwartungen urteile und sich dabei auf Annahmen stütze, die nicht empirisch belegt seien.
Biefangs Unterstützer hatten gehofft, dass das Bundesverfassungsgericht hier ein klärendes Wort spricht. Dass es dazu nicht kam, sorgt nun für Enttäuschung. Zwar endet der konkrete Rechtsstreit mit dem Beschluss aus Karlsruhe. Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bewertung bleibt jedoch weiter offen. Ob das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung auch eine offene Darstellung auf Dating-Plattformen schützt, wurde nicht entschieden. Damit bleibt die Rechtslage für Soldatinnen und Soldaten in ähnlicher Situation unklar. Auch die Frage, ob die Bundeswehr mit zweierlei Maß misst, bleibt unbeantwortet.
Ein Urteil mit Signalwirkung hätte in diesem Fall eine wichtige Weichenstellung sein können. Es bleibt abzuwarten, ob ein anderer Fall in Zukunft erneut das Bundesverfassungsgericht erreicht. Der nun beendete Fall zeigt jedenfalls, wie groß die Kluft zwischen konservativer Wehrrechtsauslegung und einem modernen Grundrechtsverständnis sein kann.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.
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