Heute hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Rückverfolgung von dynamischen IP-Adressen nach § 113 TKG verfassungswidrig ist. Wir haben darüber bereits ausführlich berichtet. Jetzt stellt sich für die Politiker in Deutschland die Frage, wie der Schaden “repariert” werden kann. Es geht also darum, herauszufinden, was an § 113 TKG so falsch war. Dazu hat das Verfassungsgericht zwei Dinge parat:
1. Wenn man mit einem Gesetz in ein Grundrecht wie das Telekommunikationsgeheimnis eingreifen will, dann muss das Gesetz darauf auch hinweisen. Ein solcher Hinweis findet sich beispielsweise in § 101 UrhG, der Norm, die die zivilrechtliche Rückverfolgung der IP-Adressen der Tauschbörsennutzer ermöglicht. Dort heißt es: “Durch Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 9 wird das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt.” Und genau so ein Hinweis fehlte in § 113 TKG. Soweit so gut, das wird der Gesetzgeber bestimmt schnell reparieren können. Doch jetzt kommt der zweite Fehler und der ist bestimmt nicht so leicht zu beheben.
2. In der Entscheidung heißt es: “Im Übrigen ist in § 113 Abs. 1 TKG nicht hinreichend klar geregelt, ob mit ihm auch eine Identifizierung solcher Adressen, die ein eigenes Gewicht hat, erlaubt werden soll. “ Der Rechtschreibfehler (es muss wohl “haben” statt “hat” heißen) sei dem BVerfG ja noch verziehen. Aber was kann wohl mit IP-Adressen, die ein eigenes Gewicht haben, gemeint sein? Ich habe davon jedenfalls noch nie gehört und IP-Adressen gehören quasi zu meinem täglichen Brot. Ich wette, dass nun auch der Gesetzgeber genauso ratlos wie ich da stehen wird. Denn an ihm ist es nun, die misslungene Norm zu reparieren. Das muss sogar noch sehr schnell gehen, denn Mitte nächsten Jahres darf über § 113 TKG in der jetzigen Form keine IP-Adresse mehr zurück verfolgt werden. Ein harter Brocken also. Schade, der einzige Satz, auf den es in dem sechsseitigen Urteil wirklich ankommt, ist unklar formuliert worden. Von unserem höchsten deutschen Gericht hätte ich etwas besseres erwartet. Lösungsvorschläge können gerne als Kommentar unter diesen Beitrag gepostet werden.
Nachtrag (29.02.2011):
Im Hinblick auf die problematischen Formulierung wäre übrigens auch eine andere Interpretationsmöglichkeit denkbar:
Der unglücklich formulierte Satz könnte bedeuten, dass nicht etwa die IP-Adressen ein „eigenes Gewicht“ haben, sondern deren Identifizierung – also die Zuordnung der Adresse zu einer bestimmten Person.
Das Ganze kann und muss man insbesondere auch vor dem Hintergrund des Urteils zur Vorratsdatenspeicherung erläutern:
Hier wurde vom Bundesverfassungsgericht hergeleitet, dass eine Identifizierung von Personen hinter dynamischen IP-Adressen zwar möglich sein soll, aber besonderen Anforderungen unterliegen muss.
Um das zu erklären muss man zwei Arten von IP-Adressen zu unterscheiden wissen – statische und dynamische. Während die statischen IP-Adressen (ähnlich wie Telefonnummern) immer ein und derselben Person zugeteilt sind, werden dynamische IP-Adressen bei jeder Einwahl in das Internet neu verteilt. Nur der Provider (z.B. 1&1 oder die Telekom) kann mithilfe seiner sonstigen Informationen später noch feststellen, wer eine dynamischen IP-Adresse in einem bestimmten Moment genutzt hat. Dafür muss er allerdings sogenannte Verkehrsdaten verarbeiten – zum Beispiel den Zeitpunkt der Internetnutzung.
Was zunächst harmlos klingt ist verfassungsrechtlich aber sehr bedeutend. Daten, die nähere Umstände von Telekommunikationsvorgängen betreffen (vor allem Zeitpunkt, Dauer und Kommunikationspartner), sind durch das Telekommunikationsgeheimnis im Grundgesetz geschützt. Ein Eingriff in das Grundrecht bedarf einer Rechtfertigung und vor allem einer expliziten gesetzlichen Regelung.
Zwar wird bei einer Auskunft nach § 113 TKG nur nach Name und Anschrift einer Person gefragt, anders als bei der Identifizierung anhand einer Telefonnummer, muss der Provider bei dynamischen IP-Adressen aber zunächst Verkehrsdaten auswerten um die Auskunft erteilen zu können. Dieser Vorgang, der bei einem Auskunftsverlangen die mittelbare Verkehrsdatenverarbeitung durch den Provider nötig macht, hat laut Bundesverfassungsgericht also ein „eigenes Gewicht“. Deswegen soll diese mehrstufige Identifizierung nicht ohne weiteres durch § 113 TKG ermöglicht werden. Die Regelung dient vielmehr nur zur direkten Identifizierung von Anschlussinhabern, wie es beispielsweise mit Telefonnummern oder statischen IP-Adressen möglich ist denn: eine solche Adresse gehört immer nur einer bestimmten Person, weitere Datenverarbeitung ist nicht nötig.
Das Gericht hat aber auch dem Umstand Rechnung getragen, dass der Auskunftssteller (beim Filesharing meist die abmahnenden Kanzleien) die Verkehrsdaten nie zu Gesicht bekommt. Trotz allem verlangt der Umstand, dass der Provider Verkehrsdaten auswerten muss um die Auskunft erteilen zu können, besondere gesetzliche Vorkehrungen.
So verlangt das Bundesverfassungsgericht mit seinem neusten Urteil zu diesem Thema also, dass der Gesetzgeber aktiv wird. Möchte er eine Identifizierung von dynamischen IP-Adressen im TKG ermöglichen, so muss er dies explizit benennen und gesetzlich klar ausgestalten. Alles andere wäre mit der Verfassung nicht vereinbar.
Durch die Übergangsfrist (bis zum 30. Juni 2013) hat der Gesetzgeber noch Zeit ein Gesetz zu Stande zu bringen, dass diesen Anforderungen genügt – wenn er denn eine Identifizierung anhand dynamischer IP-Adressen ermöglichen will.