Menschen werden im Netz immer häufiger Opfer von digitaler Gewalt. Die Möglichkeiten, sich gegen Hass und Hetze zur Wehr zu setzen, sind dabei bisher in der Praxis nicht ausreichend. Oft scheitert die Suche nach Gerechtigkeit bereits an der Möglichkeit, die Identität der Täter ausfindig zu machen. Aber das könnte sich jetzt ändern: Das BMJ hat vorgestellt, wie ein neues Gesetz gegen digitale Gewalt aussehen könnte.
Das gegenwärtige Recht befähigt Betroffene nicht in ausreichendem Maße dazu, sich effektiv gegen Rechtsverletzungen im Internet, insbesondere durch Hassrede, zu wehren. Häufig scheitert die Durchsetzung der eigenen Rechte bereits daran, dass es nicht gelingt, zügig und mit vertretbarem Aufwand Auskunft über die Identität des Verfassers rechtswidriger Inhalte zu erlangen.
Seit Oktober 2017 gibt es zwar unter anderem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Dieses auch Facebook-Gesetz genannte Regelungswerk richtet sich vor allem an die Betreiber von sozialen Netzwerken und soll Hasskriminalität, strafbare Falschnachrichten und andere strafbare Inhalte auf den Plattformen sozialer Netzwerke bekämpfen. Es wird jedoch mit dem Geltungsbeginn des Digital Services Act (DSA) der EU aufgehoben.
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) und die Ampelkoalition planen deshalb, ein neues Gesetz gegen digitale Gewalt vorzulegen. Zur Vorbereitung wurde nun ein Eckpunktepapier vorgestellt, das mehrere gesetzliche Änderungen vorsieht. Durch das Eckpunktepapier sollen den Betroffenen mehr Handhaben in der Bekämpfung digitaler Gewalt gegeben werden. Unter anderem sind richterlich angeordnete Accountsperren und umfassendere Auskunftsrechte vorgesehen.
Die Regelungen sollen zeitgleich mit der Geltung des DSA in Kraft treten und diesen ergänzen. Beim DSA (deutsch: Gesetz über digitale Dienste) handelt es sich um eine EU-Verordnung, welche direkt in den Staaten anwendbar ist. Der DSA ist bereits seit November 2022 in Kraft, jedoch erst ab 17. Februar 2024 in allen EU-Staaten anwendbar. Der DSA treffe aber nur wenig Aussagen über die privaten Rechte von Nutzern und regle auch nicht deren Durchsetzung, so das BMJ. Daher könnten beide Gesetze nebeneinander anwendbar sein.
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Privater Auskunftsanspruch soll verstärkt werden
Ein Kernstück des geplanten Gesetzes ist die Stärkung des Auskunftsrechts für Betroffene. Denn Voraussetzung der privaten Rechtsdurchsetzung ist, dass Betroffene die Identität des Verletzers erfahren können. Vor allem bei Rechtsverletzungen im Netz ist dies bislang eine der größten Hürden.
Bisher gibt es einen Auskunftsanspruch Privater nach dem Telekommunikations-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG). Dieser Anspruch ist jedoch mit einem langwierigen Verfahren verbunden. Außerdem dürfen bisher nur Bestandsdaten herausgegeben werden – so beispielsweise der Name und die E-Mail-Adresse des Verletzers, welche wegen ihrer fehlenden Echtheit oft keinen realen Mehrwert haben.
Dieser bestehende Auskunftsanspruch soll bald durch einen weiteren Anwendungsbereich verbessert werden. Das bedeutet, dass in Zukunft auch Ansprüche auf die Herausgabe von Nutzungsdaten wie IP-Adressen bestehen könnten, soweit dies verhältnismäßig und für die Rechtsverfolgung erforderlich ist.
Bisher können außerdem nur Anbieter von Telemedien, also beispielsweise soziale Medien, zur Auskunft verpflichtet werden. Das genügt jedoch meist nicht. Durch die geplante Änderung aber sollen darüber hinaus auch die Messenger- oder Internetzugangsdienste gerichtlich verpflichtet werden können, entsprechende Daten herauszugeben. Konkret soll das über ein zweistufiges gerichtliches Verfahren möglich sein: Auf der ersten Stufe erhält die betroffene Person vom sozialen Netzwerk die IP-Adresse, unter welcher der rechtswidrige Inhalt veröffentlicht worden ist. Auf der zweiten Stufe muss dann der Internetprovider, der die genannte IP-Adresse vergeben hatte, aufgrund gerichtlicher Entscheidung darüber Auskunft geben, welchem seiner Kunden die IP-Adresse zum Zeitpunkt der Äußerung zugeordnet war. So könnte man die IP-Adresse zuordnen und auch tatsächlich die Identität des Verletzers herausfinden.
Darüber hinaus sollen alle Fälle der Verletzung absoluter Rechte inbegriffen sein. Das bedeutet, dass beispielsweise auch nicht strafbare Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einen Anspruch auf Auskunft begründen können. Der bisherige Auskunftsanspruch ist nur in Fällen anwendbar, in denen bestimmte strafbare Inhalte geteilt wurden. Inbegriffen sind bisher beispielsweise Beleidigungen oder Verleumdungen im Sinne des Strafgesetzbuchs (StGB).
Schließlich hinaus sollen auch einstweilige Anordnungen bei offensichtlichen Rechtsverletzungen dazu berechtigen, Diensteanbieter zur Auskunft zu verpflichten.
Effektivere Ausgestaltung des Auskunftsverfahrens
So ein Verfahren kann mitunter lange dauern. Damit ein bestehender Auskunftsanspruch bei Löschung der Daten nicht ins Leere läuft und somit auch nicht durchsetzbar ist, soll es eine neue Möglichkeit geben, gerichtlich die Sicherung der Beweise anzuordnen. Damit sollen nach Einleitung des Auskunftsverfahrens alle Diensteanbieter zur Sicherung von Daten verpflichtet werden können. Solche Daten sind Bestands- und Nutzungsdaten des Verletzers sowie die digitale Äußerung selbst. Die Speicherung soll bis zum Abschluss des Auskunftsverfahrens andauern und bereits in frühem Verfahrensstadium angeordnet werden können.
Gleichzeitig wird das gerichtliche Verfahren in geeigneten Fällen beschleunigt. Bei offensichtlichen Rechtsverletzungen wie etwa Formalbeleidigungen kann das Gericht die Diensteanbieter bereits durch eine einstweilige Anordnung verpflichten, Auskunft über die Daten eines Verfassers zu erteilen. Das zweistufige Verfahren kann in solchen Fällen binnen weniger Tage durchlaufen werden.
Dabei wurde sich für eine „One-Stop-Shop-Lösung“ entschieden. Gemeint ist, dass die gerichtliche Zuständigkeit beim Landgericht gebündelt wird. Welches Landgericht dann zuständig ist, bestimmen die Länder selbst.
Anspruch auf eine richterlich angeordnete Accountsperre
Eine weitere wesentliche Maßnahme soll das Instrument der richterlichen Accountsperre gegen „notorische Rechtsverletzer“ werden. Folge eines durchgesetzten Anspruchs soll die zeitlich angemessene Sperrung des Accounts sein, über den die Straftat oder Persönlichkeitsverletzung verbreitet wurde. Der Anspruch richtet sich dabei nicht gegen den Verletzer, sondern gegen den Diensteanbieter. Dadurch sind auch Fälle gedeckt, in denen die Identität des Accountinhabers unbekannt ist. Betroffene sollen durch einen solchen Anspruch effektiv gegen wiederholte Verletzungen geschützt werden, die über den gleichen Account verbreitet werden.
Der Anspruch soll an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sein. Erste Voraussetzung ist, dass über den Account das allgemeine Persönlichkeitsrecht schwerwiegend beeinträchtigt wurde. Außerdem muss die Gefahr der Wiederholung durch den konkreten Account bestehen. Auch muss die Maßnahme im konkreten Fall verhältnismäßig sein. So wird eine jeweilige Abwägung der Grundrechte der Beteiligten vorgenommen werden, wobei eine Verletzung der Community-Standards nicht genügt. Es muss zudem geprüft werden, ob die Löschung der digitalen Inhalte als milderes Mittel in Betracht käme. Vor der richterlichen Anordnung müssen Accountinhaber außerdem von dem jeweiligen Diensteanbieter auf eine Sperre hingewiesen werden und sollen Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen.
Zustellung soll erleichtert werden
Bisher existiert bereits eine Pflicht im Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), dass soziale Netzwerke einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen haben. Das ist vor allem wichtig, damit Betroffene wissen, an wen sie sich bei Verletzung wegen einer Löschung wenden können. Aber auch Zeit- und Kostenersparnisse sind Vorteile der Regelung.
Diese Pflicht soll durch das Gesetz gegen digitale Gewalt noch fortgeschrieben und ausgeweitet werden. Genauer sollen auch außergerichtliche Schreiben von der Zustellung umfasst sein. Das ist deshalb wichtig, weil Diensteanbieter dann Kenntnis vom Inhalt der Schreiben erlangen, was für die Durchführung späterer Verfahrensschritte wichtig sein kann.
Wie geht es nach dem Eckpunktepapier weiter?
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärte zu dem Eckpunktepapier, an den Spielregeln des demokratischen Diskurses würde das Gesetz nichts ändern. Was heute geäußert werden dürfe, dürfe auch künftig geäußert werden, so der Bundesjustizminister. Das Eckpunktepapier sehe dafür verfahrensmäßige Absicherungen vor. Insbesondere Richtervorbehalte sollen für die Einhaltung der Versprechen sorgen. Das Gesetz gegen digitale Gewalt solle nicht den offenen Diskurs im Netz beschränken, sondern für weniger Hass und Rechtverletzungen sorgen.
Das Papier wurde inzwischen für Stellungnahmen bis zum 26. Mai 2023 an involvierte und interessierte Kreise gesandt. In der zweiten Hälfte des Jahres wird das Bundesministerium für Justiz einen Referentenentwurf vorlegen, der die Stellungnahmen sinnvoll einbezieht. Dieser Entwurf wiederum kann noch mehrmals überarbeitet werden und wird nach einer umfassenden Prüfung als Gesetzesvorschlag als Gesetzesinitiative eingebracht.
jvo/ahe