Das BVerfG in Karlsruhe bremst den sog. Lebensmittelpranger aus. Eine erheblich verspätete Online-Veröffentlichung von Hygienemängeln verletze die Berufsfreiheit eines Unternehmens. Die Publikation nach 17 Monaten sei weder aktuell noch verhältnismäßig.

Das zuständige Ordnungsamt wollte nach einer Kontrolle festgestellte Hygienemängel eines Catering-Unternehmens im Internet veröffentlichen, um Verbraucher zu informieren. Dieser sogenannte Lebensmittelpranger soll gemäß dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) unverzüglich warnen. Hier aber lagen zwischen Kontrolle und Entscheidung rund 17 Monate. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hob daher einen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Hess. VGH) auf, weil diese lange Verzögerung nicht ausreichend gegen die Berufsfreiheit abgewogen wurde und die Meldung ihren aktuellen Informationswert weitgehend verloren hatte. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. (BVerfG, 28.07.2025, 1 BvR 1949/24).

Lebensmittelkontrolle und der lange Weg durch die Gerichte

Die Beschwerdeführerin betreibt einen Event und Cateringservice. Am 14.02.2023 kontrollierte das zuständige Ordnungsamt eine Betriebsstätte. Die Beamten des Ordnungsamtsdokumentierten zahlreiche Mängel. In den Kühlschränken lagen verdorbene Lebensmittel. In Küche und im Geschirrlager fanden sich Spuren von Mäusen. An Decken und Wänden zeigten sich Beläge und Anhaftungen. In Kühlräumen wurden weitere Verschmutzungen festgestellt. Die Befunde betrafen den laufenden Betrieb und ließen sich fotografisch sichern. Kurz darauf erhielt das Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Behörde kündigte zugleich an, die Ergebnisse auf einem hessischen Verbraucherportal zu veröffentlichen. Grundlage sollte § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB sein. Die Veröffentlichung sollte nach einer kurzen Wartefrist erfolgen.

Das Catering-Unternehmen nahm Einsicht in die Akten und bat um Fristverlängerung. Bis zum 20.03.2023 reichte es seine Stellungnahme ein. Die Behörde blieb bei ihrer Linie. Mit weiterem Schreiben teilte sie mit, dass die Veröffentlichung geplant bleibe. Nach sieben Tagen sollte die Mitteilung online gehen. Das Unternehmen wollte dies vermeiden und ging dagegen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor.

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Das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt am Main lehnte den Antrag zunächst ab, sah die gesetzlichen Voraussetzungen als gegeben an und bejahte einen auf Tatsachen beruhenden Verdacht erheblicher Verstöße (Az. 5 L 1045/23.F). Die geplante Veröffentlichung sei unverzüglich, da zwischen Kontrolle und Ankündigung nur wenige Wochen gelegen hätten. Das genüge gesetzlich. Das Catering-Unternehmen legte dagegen Beschwerde ein. Erst am 19.07.2024, also gut ein Jahr später, wies der Hess. VGH die Beschwerde zurück. Er hielt die Veröffentlichung weiterhin für zulässig. Die Verzögerung beruhe wesentlich auf der Zurückstellung während des Eilverfahrens. Die Unverzüglichkeit solle dadurch nicht in Frage gestellt werden. Sonst liefe die Vorschrift leer (Az. 8 B 676/23).

Das Unternehmen zog vor das BVerfG, welches der Behörde nun vorläufig die Veröffentlichung untersagte.

Lebensmittelpranger nach 17 Monaten weder aktuell noch verhältmäßig

Nach Auffassung des BVerfG verletze der Beschluss des Hess. VGH das Catering-Unternehmen in seiner grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit. Eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB greife in die Berufsausübung ein, zumal diese im Internet geschehen solle, wo Informationen dauerhaft auffindbar und für jedermann sichtbar seien. Solche Mitteilungen berührten Ruf und Marktchancen eines Unternehmens und könnten erhebliche wirtschaftliche Folgen bis hin zur Existenzgefährdung auslösen. Ein so gewichtiger Eingriff bedürfe einer tragfähigen Rechtfertigung.

Die Auslegung einfachen Rechts liegt zwar grundsätzlich bei den Fachgerichten und das BVerfG greift u.a. nur ein, wenn die Tragweite eines Grundrechts verfehlt wird. Genau dies sah das BVerfG hier aber als gegeben an. Der Hess. VGH habe bei der Unverzüglichkeit vor allem darauf abgestellt, dass die Behörde während des Eilverfahrens gewartet habe, ohne die Gesamtdauer des Verfahrens in den Blick zu nehmen. Sinn und Zweck der Norm sei eine zeitnahe Information der Verbraucher, damit Entscheidungen auf aktuellem Stand getroffen werden könnten. Je länger der Kontrolltermin zurückliege, desto geringer werde der Informationswert. Zugleich nehme die Belastung für das Unternehmen zu, da ein Eintrag im Netz präsent bleibe und nicht immer richtig eingeordnet werde. All dies verlange eine konkrete und transparente Abwägung.

Zulässig sei, dass die Behörde eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist habe. Verzögerungen aus der Sphäre des betroffenen Unternehmens dürften diesem nicht zugutekommen. Es sei grundsätzlich in Ordnung, während eines laufenden Eilverfahrens vorerst nicht zu veröffentlichen, damit die Informationspflicht nicht leerlaufe. Diese Rücksicht habe jedoch Grenzen. Maßgeblich sei die Gesamtdauer. Nehme ein Beschwerdeverfahren mehr als 14 Monate in Anspruch, müsse diese Zeit bewertet werden. Das Gericht habe dann zu klären, ob die Verzögerung noch vertretbar sei und ob tragfähige Gründe vorlägen. Daran fehle es hier. Der Hess. VGH habe sich weder mit den 17 Monaten zwischen Kontrolle und seiner Entscheidung auseinandergesetzt noch Gründe benannt, die diese Spanne rechtfertigen könnten. Die Verzögerung sei dem Catering-Unternehmen nicht zurechenbar gewesen. Sachliche Gründe seien nicht erkennbar gewesen. Damit habe die gebotene Abwägung gefehlt.

Das BVerfG hat daher den Beschluss des Hess. VGH aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die gegen die Entscheidung des VG gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde indes nicht zur Entscheidung angenommen worden, weil die maßgebliche Begründung in der zweitinstanzlichen Entscheidung lag. Die rechtswidrige Eingriff in die Berufsfreiheit gebe dem Hess. VGH nun klare Leitlinien für eine erneute Entscheidung.

Nach den Maßstäben des BVerfG verlange eine „Unverzüglichkeit“ eine Veröffentlichung mit geringer zeitlicher Distanz. Verbraucherinformation sollen aktuell sein. Mit wachsendem Abstand sinke jedoch ihr Wert, während die Belastung des Unternehmens steige. Veröffentlichungen nach vielen Monaten bräuchten daher eine sorgfältige und nachvollziehbare Begründung, die die Zeitkomponente ernst nehme und Verbraucherinteressen und Grundrechte in ein faires Verhältnis setzen.

tsp