Der Outdoorhersteller Ortlieb zog 2019 bereits zum zweiten Mal gegen Amazon zu Felde – und gewann im Markenstreit vor dem BGH (Ortlieb II). Zuvor war Ortlieb schon einmal beim BGH vorstellig geworden. Im ersten Verfahren jedoch verwies der BGH den Fall ans OLG München zurück, wo Ortlieb schließlich unterlag (Ortlieb I). Nun hat der BGH das Urteil des OLG München aufgehoben und an die Berufungsinstanz zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Damit kommt erneute Bewegung in das Ortlieb I-Verfahren.
Die Firma Ortlieb aus dem mittelfränkischen Heilsbronn hält viel auf ihre Marke. Und offensichtlich hat sie einen markenrechtlichen Lieblingsgegner, nämlich den Handelsgiganten Amazon. Ortlieb liegt nunmehr seit einigen Jahren mit Amazon in rechtlichen Auseinandersetzungen.
Das sog. Ortlieb I-Verfahren beschäftigt sich mit der Anzeige von Fremdprodukten bei der Suche nach dem Begriff „Ortlieb“ auf der
Plattform Amazon. Die ursprüngliche Klage wurde 2014 von Ortlieb eingereicht.
Bereits letztinstanzlich wurde vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zu Gunsten von Ortlieb das Ortlieb II-Verfahren (Schaltung von Google Ads durch Amazon mit der Verwendung des Markennamens Ortlieb) entschieden (Urteil vom 25. Juli 2019, Az. I ZR 29/18).
Das Ortlieb I-Verfahren
Im Ortlieb I-Verfahren hat das Unternehmen sich gegen Amazons eigene Suchfunktion gewandt und bemängelt, dass bei Eingabe des Markennamens Ortlieb auch Konkurrenzprodukte angezeigt werden. Ortlieb will seither markenrechtlich durchsetzen, dass dort ausschließlich Ortlieb-Produkte angezeigt werden.
Der BGH lehnte dies allerdings ab. Er verwies den Fall seinerzeit zurück an das Oberlandesgericht (OLG) München, damit es prüfen könne, ob Amazon die Trefferliste zukünftig deutlicher kennzeichnen muss. Das OLG entschied daraufhin, dass die Anzeige von Konkurrenzprodukten insgesamt rechtmäßig sei. Die Kunden könnten leicht erkennen, welche Produkte von Ortlieb stammen und welche nicht. Eine zusätzliche Kennzeichnung sei nicht notwendig (Urt. v. 06.06.2019, Az. 29 U 3500/15). Eine herbe Niederlage für den Outdoorhersteller, der sich mit dem Urteil nicht zufrieden gab.
Nach der erfolgten Klageabweisung hatte Ortlieb Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH eingelegt und damit nun Erfolg gehabt. Der BGH hob das Urteil des OLG München auf und hat die Sache zur erneuten Überprüfung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, womit ein weiteres Kapitel im langjährigen Markenstreit aufgeschlagen wird.
Auch aufgrund der Tatsache, dass sich mit der P2B-Verordnung der EU-Kommission weitreichende Darlegungspflichten für Plattformen bezüglich des Zustandekommens von Suchergebnissen ergeben haben, ist das Unternehmen Ortlieb nun sehr zuversichtlich, dass das OLG letztendlich zu seinen Gunsten entscheiden wird. Schließlich sei Markenhoheit und die damit verbundene Markenidentität wichtiger denn je, so das Unternehmen in einer ersten Stellungnahme.
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Das Ortlieb II-Verfahren
Im Ortlieb II-Verfahren hatte der Fahrradtaschenhersteller Ortlieb Amazon vorgeworfen, durch das Schalten von Google-Werbeanzeigen für Konkurrenzprodukte Markenrechte zu verletzen. Die Karlsruher Richter gaben 2019 jedoch Ortlieb Recht. Amazon dürfe keine Google-Werbeanzeigen schalten und darin den Namen des Herstellers verwenden, wenn für die Nutzer nicht ersichtlich sei, dass sie auf gemischte Angebotslisten sowohl von Ortlieb als auch von Konkurrenzprodukten weitergeleitet würden. Eine solche Google-Anzeige sei in dieser konkreten Ausgestaltung irreführend.
Wer Ortlieb bei Google sucht, findet Konkurrenzprodukte bei Amazon
Wer auf Google nach etwas sucht, bekommt bekanntermaßen zuallererst einige Werbeanzeigen zu sehen, bevor dann an dritter oder vierter Stelle die richtigen Suchergebnisse erscheinen. Suchen Nutzer nach Produkten bestimmter Marken, finden sie unter den beworbenen Ergebnissen auch immer wieder Anzeigen von Amazon.
Zum Unmut des Taschenherstellers Ortlieb erschienen bei Eingabe der Suchbegriffe “Ortlieb Fahrradtasche”, “Ortlieb Gepäcktasche” und “Ortlieb Outlet” von Amazon gebuchte Anzeigen, die die gesuchten Begriffe enthielten und mit Angebotslisten auf Amazon verlinkt waren. Es war für den Verbraucher jedoch nicht ersichtlich, wohin genau dieser Link führen würde.
Tatsächlich führte er den Nutzer auf eine Amazon-Ergebnisseite mit Listen. Und diese Listen erhielten auch noch – neben Ortlieb-Produkten – Produkte von Mitbewerbern – z.B. Angebote für eine Radtasche des Herstellers “Vaude”, die von Amazon verkauft wird.
Der Markeninhaber Ortlieb, der selbst keine Produkte auf Amazon anbietet, sah in den mit gemischten Angebotslisten verlinkten Anzeigen eine Verletzung seiner Markenrechte und verklagte Amazon deshalb auf Unterlassung.
BGH sieht Markenrechtsverletzung in konkreter Gestaltung der Anzeige
Bereits in den ersten beiden Instanzen hatte der Taschenhersteller Erfolg. Nun gab ihm letztinstanzlich auch der BGH Recht. Die Karlsruher Richter entschieden, dass die Verwendung des Markennamens in den beanstandeten Anzeigen irreführend und deshalb nach § 14 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Markengesetz (MarkenG) zu unterlassen sei. Danach ist es Dritten untersagt, eine geschützte Marke ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr für Waren oder Dienstleistungen zu verwenden.
Hier sah der BGH eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion der Marke Ortlieb. Denn Amazon nutze in diesem Fall die Reputation der bekannten Marke Ortlieb aus, um auf andere Produkte aufmerksam zu machen. Dies stelle deswegen eine unrechtmäßige Nutzung der Marke dar, da die Nutzer in diesem konkreten Fall nicht ahnen könnten, dass andere Produkte als die von Ortlieb beim Anklicken der Anzeige angezeigt werden.
Das Urteil bedeutet aber nicht, dass es grundsätzlich verboten ist, dass Amazon den Markennamen Ortlieb für seine Werbeanzeigen verwendet und dann auch auf die Konkurrenz verlinkt. Allerdings dürften solche Anzeigen die berechtigten Interessen des Markeninhabers nicht verletzen. Dabei komme es auf die Gestaltung der Anzeige an. In diesem Fall aber sei die Marke in der Werbeanzeige irreführend verwendet worden. Denn so, wie die Anzeige ausgestaltet war, würden die Nutzer erwarten, nach dem Klick nur auf Ortlieb-Produkte weitergeleitet zu werden. Aus den Anzeigen ergebe sich für den Nutzer hingegen überhaupt nicht, dass ihm nach Anklicken lediglich eine Auswahl an Produkten präsentiert würde, die neben Ortlieb-Produkten auch noch Waren der Konkurrenz präsentiert würden. Insbesondere die verkürzten Links, die unter der Google-Anzeige auftauchen, würden die irreführende Wirkung unterstützen. Dort suggerieren Links wie „amazon.de/ortlieb+fahrradtasche“, dass sich dort ausschließlich Produkte der Marke fänden. Da dies jedoch nicht der Fall war, kann Ortlieb von Amazon Unterlassung der irreführenden Nutzung der Marke verlangen.
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Welche Konsequenzen hat dieses Urteil für Online-Händler?
Amazon muss also seine Werbeanzeigen überarbeiten. Doch die Entscheidung geht über die Reichweite von Amazon hinaus: Sie betrifft jeden Online-Händler, der Produkte verschiedener Hersteller anbietet. Der Fall wird sich damit auf zukünftige Google-Anzeigen von Online-Shops auswirken, sollten diese eine ähnliche Gestaltung ihrer Werbeanzeigen wie Amazon vorgenommen haben.
Es bleibt abzuwarten, wie die Einzelhändler reagieren werden. Möglicherweise wird nur der Wortlaut ihrer Anzeigen so geändert, dass sie sich statt auf eine auf verschiedene Marken beziehen (z.B. “Wir bieten günstige Angebote für Smartphones von Samsung, Apple und anderen Marken”). Dann sollte es ihnen erlaubt sein, Produkte von Wettbewerbern in den Suchergebnissen anzuzeigen. Die Zeit wird zeigen, ob diese “aktualisierten” Versionen von Anzeigen genauso effizient sind wie die vorherigen, jetzt nicht mehr rechtmäßigen.
Ortlieb I: Hersteller sieht sich durch Urteile bestätigt
Da bereits die Entscheidung des BGH im Ortlieb II-Verfahren
erkennen ließe, dass der BGH seine Sicht auf die notwendige Transparenz von Suchmaschinen neu justiere, sieht Ortlieb einer erneuten Entscheidung des OLG Münchens gelassen entgegen.
Ein kürzlich erst bekannt gewordenes BGH-Urteil vom 15. Oktober 2020 zur Marke „Vorwerk“ in den Amazon-Ergebnislisten baut zudem ausdrücklich auf der Ortlieb II-Entscheidung auf. Dort geht der BGH gar noch einen entscheidenden Schritt weiter und führt Verbraucherschutz
und Markenschutz zusammen. Der BGH hält im Vorwerk-Urteil fest, dass die Herkunftsfunktion der Marke dann verletzt sei, wenn der angesprochene Besucher nur „markenreine“ Ergebnislisten erwarte und dann, ohne gesonderte Kenntlichmachung, Fremdprodukte ebenfalls angezeigt würden. Genau darin zeige sich nach Ansicht Ortliebs eine neue „Lotsenfunktion“ der Marke, die für einen funktionierenden
Wettbewerb in der Digitalwirtschaft unerlässlich sei.
Zum weiteren Verfahrensgang werden wir an dieser Stelle berichten.
fho/ahe/tsp