Im September 2020 hatte die Süddeutsche Zeitung im Rahmen ihrer Berichterstattung über den Cum-Ex-Skandal zum Teil wörtlich aus Tagebüchern eines in den Skandal verwickelten Miteigentümers der Hamburger Warburg Bank zitiert. Nun hat der BGH über die Zulässigkeit entschieden.

In einem Bericht mit dem Titel „Notizen aus der feinen Gesellschaft“ hatte die Süddeutsche Zeitung online unter anderem Zitate aus den Tagebüchern des Bänkers Christian Olearius veröffentlicht. Der konkrete Artikel beleuchtete mögliche Einflüsse der Hamburger Politik auf die Cum-Ex-Geschäfte und inwiefern auf Entscheidungen der Finanzbehörden im Zusammenhang mit millionenschweren Steuerrückforderungen eingewirkt worden sein könnte.

Darin sah Christian Olearius eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und klagte zunächst vor dem Landgericht (LG) Hamburg auf Unterlassung (Urt. v. 05.03.2021, Az. 324 O 502/20) – zumindest mit teilweisem Erfolg. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg wies die Berufung der Zeitung gegen das erstinstanzliche Urteil größtenteils zurück (Urt. v. 22.03.2022, Az. 7 U 25/21). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen, ließ es die Revision jedoch zu, sodass sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Rechtssache befassen durfte und nun eine Entscheidung gefällt hat (Urt. v. 16.05.2023, Az. VI ZR 116/22).  

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Was sind Cum-Ex-Geschäfte

Cum-Ex-Geschäfte beschreiben eine Form von Aktiendeals, die am Tage der Ausschüttung der Gewinnbeteiligung, entweder kurz vor (cum) der Ausschüttung der Dividende oder kurz danach (ex) getätigt werden. Sie ermöglichen es institutionellen Investoren, Steuern gleich mehrfach zurückzufordern. Dafür handeln Investoren und Banken Aktien eines DAX-Konzerns in komplexer und unübersichtlicher Form. Privatpersonen müssen auf die Dividende eine Steuer in Höhe von 25% zahlen, institutionelle Investoren sind jedoch von der Steuer ausgenommen. Bei den Cum-Ex-Geschäften sind mehrfache Steuerrückerstattungen möglich gewesen, weil schwer nachvollziehbar war, wem die Aktien wann gehörten. Das führte zu einem der größten Steuerskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Skandal wog mehrere 10 Milliarden Euro schwer, ausgelöst durch Steuertricks und Aktiengeschäfte von Bankern, Anwälten und Investoren.

Tagebücher aus einer Beschlagnahme

Die in Rede stehenden Tagebücher stammten aus einer Durchsuchung der Privaträume von Olearius. Darin war dokumentiert worden, dass Treffen zwischen dem Hamburger Ex-Bürgermeister und dem Bundeskanzler Olaf Scholz stattgefunden hatten. Das OLG sah die Tagebücher als amtliche Dokumente in einem Strafverfahren. Aus solchen dürfe daher nicht wörtlich zitiert werden. Die SZ hätte dem öffentlichen Informationsinteresse auch ohne die Zitate genügen können. Einzige Ausnahme seien Passagen, die bereits im Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft veröffentlicht worden waren. Laut LG und OLG war die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge jedenfalls nicht rechtens und sie sahen darin eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Bänkers.

BGH hebt OLG-Urteil auf

Nun hob der BGH das Urteil des OLG Hamburg auf, welches zuletzt einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog, § 823 Abs. 2 BGB angenommen hatte und stellte klar, dass es sich bei den Tagebüchern nicht um amtliche Dokumente handele. Aufzeichnungen privater Urheber seien nicht vom Tatbestand des § 353d Nr. 3 StGB erfasst. Die Tagebücher können sich außerdem nicht allein dadurch in amtliche Dokumente „verwandelt“ haben, nur weil sie beschlagnahmt wurden.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Olearius sei durch die wortlautgetreue Wiedergabe der Tagebuchauszüge zwar berührt, so der BGH. Dies sei jedoch deshalb nicht rechtswidrig, weil das Grundrecht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit in diesem Fall ein besonders hohes Gewicht zukomme. Es seien weder private Details von Olearius veröffentlicht worden noch sei er im Rahmen des Verfahrens bloßgestellt worden. In einem solchen Fall dürfe das besondere Interesse der Öffentlichkeit an der Cux-Ex-Streitigkeit besonders berücksichtigt werden. Die Veröffentlichung der Tagebuchauszüge sei daher zulässig gewesen.

jvo/ezo