Eine Tageszeitung darf schreiben, dass ein Sektenführer den Staat ablehnt, auch wenn diese Tatsache nicht erwiesen wahr ist. Ein anderslautendes Urteil eines OLG verletze die Meinungs- und Pressefreiheit, so das BVerfG.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass die Tageszeitung Echo schreiben dürfe, dass der Anführer einer sektenähnlichen Gemeinschaft den Staat ablehne. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hatte das zuvor anders entschieden. Dieser Beschluss verletze jedoch die Meinungs- und Pressefreiheit der Tageszeitung. (BVerfG, Beschl. v. 09. November 2022 1 BvR 523/21).

Die Tageszeitung hatte im September 2020 einen Beitrag mit dem Titel „Aussteiger packen aus: So geht es in der Guru-Gemeinschaft zu“ veröffentlicht. Der Bericht beleuchtete kritisch die inhaltliche Ausrichtung, Strukturen und Hierarchien innerhalb einer aus Sicht ehemaliger Mitglieder sektenähnlichen Gemeinschaft. Der Anführer dieser Gemeinschaft war daraufhin vor Gericht gezogen, da die Zeitung über ihn geschrieben hatte, dass er den Staat ablehne.

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Urteil des OLG: Unzulässige Meinungsäußerung aufgrund von fehlender Tatsachengrundlage

Das OLG Frankfurt am Main untersagte in zweiter Instanz die Verbreitung der angegriffenen Äußerung. Trotz des grundsätzlichen Vorrangs freier Meinungsäußerung sei die Äußerung einer abschätzigen Meinung unzulässig, wenn gemessen an der Eingriffsintensität kein Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen festzustellen sei. Vorliegend fehle es an Tatsachen, die ansatzweise die Meinung belegten, dass der Antragsteller tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne.

Die Tageszeitung legte gegen diesen Beschluss des OLGs Verfassungsbeschwerde ein und rügte eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Das BVerfG schloss sich dieser Ansicht an und gab der Tageszeitung Recht.

Abwägung zwischen Rechten des Sektenführers und der Zeitung

Die Berichterstattung der Tageszeitung verletze zwar das Persönlichkeitsrecht des Sektenführers, jedoch führe das nicht automatisch zu einer Unzulässigkeit des Berichts. Vielmehr müsse eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungs- und Pressefreiheit durch die gerichtliche Untersagung der Äußerung andererseits stattfinden. Im Rahmen dieser Abwägung sei dann die Richtigkeit der Aussage von maßgeblicher Bedeutung.

Das OLG ziehe die der Berichterstattung zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen in ihrer Wahrheit nicht in Zweifel, misse ihnen jedoch im Rahmen der Abwägung keine Bedeutung zu. Zudem werde der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit verkürzt, soweit es der angegriffenen Äußerung schlichtweg eine “erhöhte Eingriffsintensität” beimesse, ohne zu begründen, inwieweit die Einschätzung, der Antragsteller lehne „den Staat“ ab, überhaupt abschätzig oder geeignet sein solle, ihn in der öffentlichen Wahrnehmung herabzusetzen.

Außerdem stelle das OLG fest, dass die Berichterstattung nur rechtmäßig sei, wenn die Zeitung hinreichende Anhaltspunkte für die angeblich staatsablehnende Ansicht des Anführers habe. Dies sei falsch, denn so werde der Berichterstattung von Anfang an dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen.

mha