In einem Bericht über den Bürgermeisterwahlkampf der AfD in Schwerin druckte der Spiegel ein ganzseitiges Foto von Kindergartenkindern in lokaler Tracht ab, die an einem AfD-Wahlkampfstand vorbeiliefen. Die Kinder verklagten den Spiegel nun erfolgreich vor dem Landgericht Hamburg.

By Oxfordian Kissuth – Own work, CC BY-SA 3.0.

Der Spiegel durfte für seine Berichterstattung kein Foto von Kindern abdrucken, die in lokaler Tracht gekleidet vor einem AfD-Wahlkampfstand vorbeilaufen. So entschied das Landgericht (LG) Hamburg. Damit sich eine Redaktion auf die Ausnahme des „Bildnisses aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ berufen kann, müsse ihr Veröffentlichungsinteresse die Rechte der Abgebildeten überwiegen – dies sei hier nicht der Fall. Die Erkennbarkeit der Kinder sei nicht ausgeschlossen, obwohl sie nur im Profil abgebildet waren. Für die Feststellung der Erkennbarkeit könne auch eine lokale Tracht eine Rolle spielen (Urt. v. 26.04.2024, Az. 324 O 373/23).

Auf dem Bild, das sowohl in Ausgabe Nr. 25 des Spiegels als auch auf der Spiegel Homepage veröffentlicht wurde, waren Kinder zu sehen, die sich auf dem Weg zu einem Seniorenheim befanden. Dort sollten sie, im Rahmen einer Kita-Tanzgruppe, in Tracht tanzen und auf Plattdeutsch singen. Außerdem war ein AfD-Wahlkampfstand zu sehen, an dem sich eine örtliche Blumenhändlerin mit dem Standbetreiber unterhielt. Die Kinder standen dabei in keinem Zusammenhang mit dem Wahlkampfstand. Der Spiegel schrieb zu dem Bild:

„Eine Kindergruppe in Tracht läuft vorbei, auf dem Weg zu einer kleinen Tanzaufführung in einem der nahe gelegenen Seniorenheime. Die Mädchen tragen Kopftücher und lange Röcke, die Jungen braune Dreiviertel-Hosen. Die Blumenhändlerin neben dem Stand erklärt ganz ungefragt, dass sie die A. unterstützt.“

Da die Eltern der Kinder in diese Veröffentlichung nicht eingewilligt hatten, mahnten sie den Spiegel im Namen der Kinder zunächst ab. Da der Verlag nicht zum Abgeben einer Unterlassungsverpflichtung bereit war, klagten sie. Die 24. Zivilkammer stellte klar, was bei der Beurteilung als „Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 Kunsturhebergesetz (KUG)) zu beachten ist.

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Erkennbarkeit trotz Profilaufnahme

Zuerst beschäftigte sich das Gericht mit dem Einwand des Spiegels, dass die Kinder auf dem Bild kaum bzw. gar nicht erkennbar gewesen seien. Dem Verlag zufolge sei eine Erkennbarkeit „fernliegend“ gewesen, da sich die Identität der Kinder nicht „ohne Weiteres“ aus den Bildern ergeben hätte.

Das Gericht führte dazu allerdings aus, dass der Begriff der Erkennbarkeit sehr weit ausgelegt werde. Demnach reiche es, dass Betroffene nur „Anlass zur Befürchtung“ haben, erkannt zu werden; konkret etwa dann, wenn markante Eigenschaften wie Frisur, Statur oder Kleidung zu sehen seien. Das sei bei den Kindern der Fall gewesen und würde durch die Trachten nur noch verstärkt, da zumindest der engere Bekanntenkreis der Kinder sie anhand dessen als Teil der Tanzgruppe wiedererkennen könne.

Öffentliches Interesse am AfD-Wahlkampf besteht

Da die Eltern in die Veröffentlichung nicht eingewilligt hatten (§ 22 KUG) musste eine Ausnahme des § 23 KUG greifen; hier berief sich der Spiegel darauf, dass das Bild ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sei. Der Verlag argumentierte, dass die Kinder Teil der zeitgeschichtlichen Situation des Straßenwahlkampfes gewesen seien, den man nur kontextgerecht habe illustrieren wollen.

Das Gericht stellte schon für die Frage, ob überhaupt ein Bildnis aus der Zeitgeschichte vorlag, eine Abwägung mit den Rechten der Kinder an. Damit ein solches Bildnis vorliegt, müsse die Situation zunächst von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse sein. Dieses Interesse sei aber dort eingeschränkt, wo die Rechte der Betroffenen missachtet würden.

Das Gericht gestand dem Spiegel zu, dass es durchaus ein Informationsinteresse daran gebe, wie sich der Wahlkampf einer politischen Partei „auf der Straße“ abspielt. Das gelte für den Wahlkampf der AfD umso mehr, da dieser in besonderer Weise polarisiert und an ihren Wahlständen für gewöhnlich Anhänger unterschiedlicher politischer Meinungen aufeinanderträfen. Die Abbildung sei auch authentisch und unstreitig nicht manipuliert oder gestellt.

Rechte der Kinder überwiegen

Trotzdem würden die Rechte der Kinder in diesem Fall das Interesse der Öffentlichkeit überwiegen. Das Gericht nahm Bezug auf das Bundesverfassungsgericht und stellte heraus, dass Heranwachsende, Jugendliche und Kinder eines besonderen Schutzes bedurften, weil sie „sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen“. Dabei gehöre es gerade zur kindestypischen Entfaltung, sich in der Öffentlichkeit bewegen zu können, ohne eine Berichterstattung über das eigene Verhalten auszulösen. Anders liege es nur, wenn Eltern mit ihren Kindern bewusst an die Öffentlichkeit treten. So etwa, wenn sie an öffentlichen Veranstaltungen teilnähmen oder in deren Mittelpunkt stünden.

Die sechsjährigen Kinder hatten sich in diesem Fall gerade nicht bewusst der Öffentlichkeit zugewandt, sondern waren nur zufällig zugegen. Damit waren sie laut den Ausführungen des Gerichts in vollem Maße schutzwürdig.

Damit konnte das Gericht das Urteil schon damit begründen, dass das Foto von vornherein kein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte war. Der Spiegel wurde verurteilt, das Bild soweit möglich zu entfernen und nicht mehr weiter zu verbreiten und die vorgerichtlichen Kosten der Kinder zu tragen.

Nach einer Berufung des Spiegels ist das Verfahren nun beim Oberlandesgericht Hamburg anhängig.

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