Mobilfunkstörungen sind ärgerlich für die Kunden – insbesondere dann, wenn sie monatelang andauern. Auch für den Mobilfunkanbieter selbst sind solche Störungen ein Problem, weil sie Entschädigungen für die Kunden rechtfertigen können. Ein Kunde zog vor das LG Göttingen, weil eine monatelange Netzstörung durch seinen Anbieter nicht behoben wurde. Er forderte 7.500 Euro. Doch war die Forderung wirklich gerechtfertigt?

Wenn ein Mobilfunkkunde von zuhause über Monate hinweg nicht mit seinem Mobiltelefon telefonieren kann, kann er eine Entschädigung vom Anbieter fordern. Das urteilte nun das Landgericht (LG) Göttingen, nachdem ein Kunde gegen seinen Anbieter geklagt hatte. Dass der Kunde von zuhause über das WLAN telefonieren konnte, lasse die Kompensationspflicht nicht entfallen (Urt. v. 01.09.2023, Az. 4 O 78/23).

Ein Mann hatte für sich, seine Frau und auch seine Tochter Mobilfunkverträge beim selben Mobilfunkanbieter über 5,99 Euro und 6,99 Euro geschlossen. Während der Vertragslaufzeit schien jedoch nicht alles glattgelaufen zu sein. Der Mann behauptete, er habe eine mehrmonatige Netzstörung gehabt – diese Netzstörung wurde vom Anbieter auch nicht bestritten. Als Entschädigung für diese Störung forderte er gerichtlich 7.500 Euro vom Anbieter ein.

Doch wie genau kam der Mann auf solch einen hohen Anspruch? Die festgelegten Geldbeträge basieren auf § 58 Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes (TKG). Die Norm gewährt Kunden, die Dienstleistungen von Telekommunikationsanbietern nutzen, einen Anspruch auf Entschädigung für jede Störung, die nicht unverzüglich behoben wird und zu einem vollständigen Ausfall des Dienstes führt. Ausgenommen sind Störungen, die vom Kunden selbst verschuldet wurden.

Wenn eine solche Störung auftritt, ist der Kunde verpflichtet, diese dem Anbieter zu melden. Der Anbieter hat nach der Meldung zwei Tage Zeit, die Störung zu beheben. Falls nach Ablauf dieser Frist keine Lösung gefunden wurde, hat der Kunde Anspruch auf Entschädigungszahlungen. Diese betragen fünf Euro pro Tag für die Tage drei und vier nach Eingang der Störungsmeldung. Ab dem fünften Tag beläuft sich die Entschädigung auf zehn Euro pro Tag.

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Kein vollständiger Ausfall des Dienstes laut Anbieter

Zwar konnte sich der Kunde zumindest für die Berechnung am § 58 Abs. 3 TKG orientieren. Trotzdem war vom Göttinger Gericht erst zu prüfen, ob überhaupt ein Anspruch bestand. Und siehe da, für einen der Verträge gab das LG Göttingen der Klage vollumfänglich statt. Für den Netzausfall vom 25. März bis 31. Dezember 2022 bekam der Mann eine Entschädigung in Höhe von 2.810 Euro zugesprochen.

Das Gericht wies sowohl den Einwand des Anbieters zurück, dass die Kunden an anderen Orten als zuhause die Möglichkeit zum Telefonieren gehabt und genutzt haben, als auch das Argument, sie haben zu Hause über WLAN telefonieren können. Der Anbieter hatte argumentiert, dass ein vollständiger Ausfall des Dienstes nur vorliege, wenn es dem Kunden eines Mobilfunkvertrags unmöglich sei, überhaupt zu telefonieren. Schließlich seien laut dem Anbieter Mobilfunkleistungen räumlich nicht auf die Wohnung des Kunden beschränkt, weshalb der Dienst nicht als vollständig ausgefallen betrachtet werden könne, wenn das Netz nur in einem begrenzten Bereich gestört sei.

Die Göttinger Richter vertraten jedoch eine andere Meinung. Das Gericht stellte fest, dass der Dienst im Sinne des § 58 des TKG nicht gleichbedeutend sei mit der Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Leistungen. Eher sei die jeweilige einzelne Leistung, die vertraglich vereinbart ist, gemeint. Und das sei im Falle eines klassischen Mobilfunkvertrags die Möglichkeit, im Mobilfunknetz Telefonate zu tätigen. Zur Auslegung zog das Gericht das Leistungsangebot des Anbieters selbst heran und stellte fest: Allein die Möglichkeit, im Rahmen des Abschlusses von Mobilfunkverträgen Datenoptionen und Telefonie separat zu buchen, zeige laut Gericht, dass es sich um verschiedene Dienste gehandelt habe.

Kunde muss auch von zuhause aus telefonieren können

Die Möglichkeit, außerhalb der eigenen Wohnung zu telefonieren, würde den vollständigen Netzausfall nicht kompensieren. Schließlich bestehe das Wesen der Mobiltelefonie darin, zu jeder Zeit und an jedem Ort telefonieren zu können. Also müssen Kunden auch von zuhause und ohne dafür den Standort zu wechseln mit ihren Mobilgeräten telefonieren können. Das LG führte weiterhin aus, dass heutzutage viele Kunden keinen Festnetzanschluss mehr hätten und stattdessen ihr Smartphone auch für Telefonate von zuhause aus nutzen würden. Auch wurde die Idee abgelehnt, einen Mindestradius um die Wohnung festzulegen. Als Begründung wurde auf die Notwendigkeit verwiesen, in der eigenen Wohnung Notrufe tätigen zu können.

Daher könne der Anbieter die Kunden auch nicht auf die Nutzung von Internet-Telefonie über WLAN verweisen. Das Argument, Kunden könnten trotz Netzstörung zuhause ihr WLAN nutzen und so über das Internet telefonieren, griff laut dem LG also nicht. Das Göttinger Gericht führte dahingehend aus, dass die Entschädigungspflicht des Anbieters nur entfalle, wenn dieser dem Kunden eine im Wesentlichen gleichwertige Ersatzmöglichkeit für die Nutzung des ausgefallenen Dienstes bereitgestellt habe. Dies sei bei WLAN nicht der Fall, da die Versorgung mit WLAN in Wohnungen oder Häusern nicht immer gleichmäßig und zufriedenstellend ist. Zudem seien Notrufe bei allen Anbietern technisch nicht immer möglich.

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Treuwidriges Verhalten des Kunden

Das Gericht wies also die Verteidigungsversuche des Mobilfunkanbieters allesamt ab. Warum wurde dem Mann aber nur rund ein Drittel der geforderten Entschädigungssumme zugesprochen? Dies lag am treuwidrigen Verhalten des Mannes im Zusammenhang mit den zwei weiteren Vertragsabschlüssen. Dabei spielte der zeitliche Ablauf eine entscheidende Rolle. Der erste der drei Verträge wurde im Jahr 2020 für die Tochter abgeschlossen. Mitte Februar 2022 trat bei ihr eine Netzstörung auf. Nicht mal einen Monat später bestellte der Mann jedoch eine weitere Rufnummer für seine Frau. Doch erst nach der Bestellung, meldete er am 22. März einen vollständigen Netzausfall. Im April schloss er dann einen weiteren Vertrag mit dem Anbieter für sich selbst ab.

Die Richter in Göttingen betrachteten den Abschluss der beiden letzten Verträge als Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Sie nannten die genaue Fallgruppe nicht, schienen aber den Grundsatz des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) anzuwenden. Das LG argumentierte, dass es nicht im Einklang mit dem Zweck der Entschädigungsregelung stehe, wenn ein Mobilfunkkunde in vollem Wissen um das Bestehen einer längerfristigen Störung einen Mobilfunkvertrag abschließt und dann eine entsprechende Entschädigung beantragt. Die Entschädigungsregelung solle Anreize für den Anbieter schaffen, die Störung so schnell wie möglich zu beheben. Der Kunde solle daraus jedoch keinen finanziellen Vorteil ziehen können.

Der Kunde war der Auffassung, dass er zum Zeitpunkt der beiden späteren Vertragsabschlüsse davon ausging, dass die Störung bald beseitigt werden würde. Er habe sich nicht vorstellen können, dass es in Deutschland im Jahr 2022 nicht möglich ist, die technische Störung an einem Mobilfunksendemast in Göttingen innerhalb weniger Tage zu beheben. Überzeugen konnte er das Gericht damit jedoch nicht. Wenn eine Störung bereits seit dreieinhalb Wochen bzw. zwei Monaten andauere, könne man nicht mehr darauf vertrauen, dass sie sofort behoben werde – so das LG. Ob in jedem Fall eines Vertragsabschlusses nach erstmaligem Auftreten einer Störung auch ein Verstoß gegen die Treu und Glauben-Regel angenommen werden kann, ließ das Gericht jedoch bisher offen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

agr