Immer wieder beschäftigen automatisierte System zur Kennzeichenerfassung die Gerichte. Zuletzt sorgte eine Entscheidung des LG Frankfurt (Oder) für Aufsehen, die das brandenburgische System „KESY“ für verfassungswidrig erklärte. Jetzt teilte der Verkehrsminister jedoch mit, trotzdem an dem System festhalten zu wollen. Alle Hintergründe haben wir hier für Sie zusammengestellt.

Schon seit 2010 setzte die brandenburgische Polizei zu Strafverfolgungszwecken auf automatische Kennzeichenüberwachung. Nun entschied das Landgericht (LG) Frankfurt (Oder), dass der Einsatz des Systems im „Aufzeichnungsmodus“ rechtswidrig war (Beschl. v. 22.07.2022, Az. 22 Qs 40/19).

Das „KESY“ getaufte System war landesweit an verschiedenen Standorten installiert und wurde eingesetzt, um zur Fahndung ausgeschriebene Fahrzeuge finden. Von 2017 bis Juni 2021 betrieb die brandenburgische Polizei unter anderem auf der A11 zwei Anlagen zur automatischen Kennzeichenerfassung im sogenannten Aufzeichnungsmodus. Dabei werden die rückwärtigen Kfz-Kennzeichen passierender Autos gescannt, mit einer Fahndungsdatei gespeicherter Fahrzeugdaten abgeglichen und in Verbindung mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung gespeichert. Halter der Fahrzeuge werden nicht informiert, wenn ihr Kennzeichen erfasst wurde.

Keine gesetzliche Grundlage für Kfz-Kennzeichen-Scanning durch KESY

Auch Marko Tittel, Mitglied der Piratenpartei aus der Uckermark, befuhr die Strecke regelmäßig in ihrer gesamten Länge, nämlich von seinem Wohnort an der polnischen Grenze bis nach Berlin. Dass dabei jedes Mal sein Kennzeichen erfasst und gespeichert wurde, wollte er nicht hinnehmen. Er erhob deshalb im Juni 2019 Klage vor dem Amtsgericht (AG) und wollte dort feststellen lassen, dass die „Totalerfassung des Straßenverkehrs auf Vorrat“ rechtswidrig sei. Das AG wies seine Klage jedoch als unzulässig ab: Tittel sei nicht Zielperson der Maßnahme, sondern nur zufällig miterfasst und daher gar nicht antragsberechtigt. Auch das Landgericht (LG) folgte dieser Begründung. Daraufhin sog der Pirat bis vor das Landesverfassungsgericht in Potsdam. Mit Erfolg! Die Richter stellten klar, dass das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz es gebiete, eine gerichtliche Überprüfung auch dann durchzuführen, wenn der Antragssteller nur „zufällig“ von einer Maßnahme betroffen sei. Das Landgericht sei daher verpflichtet, über die von Tittel geltend gemachten Rechtsverletzungen zu entscheiden.

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Wir sind bekannt aus

Das hat es nun getan und festgestellt, dass es für die Überwachung keine gesetzliche Grundlage gibt und daher das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Polizei hatte den Betrieb von „KESY“ auf eine staatsanwaltschaftliche Anordnung gemäß § 100h Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 163f StPO gestützt. Diese Normen erlauben die anlasslose Massenüberwachung aller Verkehrsteilnehmer jedoch nicht, stellten die Landesrichter nun klar.

Schon 2020 meldete die Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge Bedenken an, was die Rechtmäßigkeit von „KESY“ angeht. Erst, nachdem im Sommer 2021 Neuerungen der Strafprozessordnung in Kraft getreten waren, sah die Landesregierung den Einsatz von „KESY“ jedoch selbst nicht mehr als legal an und stoppte den Einsatz des Überwachungssystems. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen stellten nun jedoch klar, dass „KESY“ in Zukunft wieder eingesetzt werden soll. Der Politiker will dadurch „schwere und schwerste Straftaten“ wie Mord, Kindesentführung oder terroristischer Gefährdung verhindern. Der Einschätzung des Ministers zufolge ist ein derartiger Einsatz verfassungskonform möglich. Die nötige gesetzliche Grundlage will der er nun schaffen.

Bleibt alles beim alten?

Das bedeutet jedoch nicht, dass die anlasslose Massenüberwachung der Autofahrer zukünftig wieder genauso fortgesetzt wird, wie bisher. Der bisherige Einsatz erfolgte auf Basis der StPO zum Zwecke der Strafverfolgung und unterfiel damit der Kompetenz des Bundes. Eine eigene Rechtsgrundlage kann der brandenburgische Gesetzgeber daher nur zur Verhinderung von Straftaten schaffen, da das Recht der Gefahrenabwehr in die Kompetenz der Länder fällt. Wie genau das System bei der Verhinderung von Straftaten helfen soll und welche Daten auch künftig noch abgespeichert werden, bleibt abzuwarten.

Systeme zur automatischen Kennzeichenerfassung beschäftigen immer wieder die Gerichte. In der jüngeren Vergangenheit ging es dabei jedoch meist um Systeme zu Geschwindigkeitsmessung. Schlagzeilen machte dabei zuletzt das niedersächsische System „Section Control“. Auch hier bemängelten die Richter zunächst eine fehlende gesetzliche Grundlage für den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese hatte der Landesgesetzgeber jedoch schnell geschaffen (§ 32 Abs. 7 NPOG), woraufhin das niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) die Kennzeichenerfassung für rechtmäßig befand. Im Unterschied zu „KESY“ wurden die erfassten Kennzeichen bei „Section Control“ jedoch nur für den Zeitraum des Passierens zweier Messpunkte gespeichert und anschließend wieder gelöscht, wenn kein Geschwindigkeitsverstoß vorlag. Der Grundrechtseingriff war daher von vornherein weniger gravierend.

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Wie Sie sehen, tun sich sogar Regierungsmitglieder und Staatsanwälte oft schwer, datenschutzrechtliche Fragestellungen richtig zu beurteilen. Kein Wunder: Unterschiedliche, zum Teil nebeneinander anwendbare Regelwerke, divergierende Einschätzungen von Landesdatenschutzbeauftragten sowie ein regelrechter Dschungel von Gerichtsentscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene machen es schwer, den Überblick über die Rechtslage beim Datenschutz zu behalten. Sie sollten daher von vornherein auf anwaltliche Betreuung setzten, um Bußgelder und Schadensersatzansprüche zu vermeiden. Unsere Experten im Datenschutzrecht stehen dafür jederzeit bereit. Rufen Sie für eine kostenlose Ersteinschätzung Ihres Problems einfach an unter 0221 / 951 563 0 (Beratung bundesweit).

jko

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