Eine rote Ampel blieb rot. Nach fünf Minuten Dauerrot überquerte eine Radfahrerin sodann eine Kreuzung, da sie von einem Defekt der Ampel ausging. Stellt dies einen Rotlichtverstoß dar? Besagte Radfahrerin wehrte sich nun vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht gegen ein gegen sie verhängtes Bußgeld in Höhe von 100 Euro.

Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) wurde der Fall einer Radfahrerin verhandelt, die nach einer Rotphase von mehr als fünf Minuten die Kreuzung überquerte und in erster Instanz zu einer Geldbuße verurteilt wurde. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) entschied nun, dass Radfahrer, die in der Annahme einer defekten Ampel über Rot fahren, keinen vorsätzlichen qualifizierten Rotlichtverstoß begehen. Zugleich seien sie Fußgängern nicht gleichzustellen, so dass sie nicht generell zum Absteigen aufgefordert werden dürften (Beschluss vom 11.09.2023, Az. 5 ORbs 25/23).

Radfahrerin fuhr nach fünf Minuten über Rot

Eine Radfahrerin wartete an einer Hamburger Kreuzung mindestens fünf Minuten an einer roten Ampel, die mit einer sogenannten Kontaktschleife ausgestattet war. Da die Ampel auch nach längerer Wartezeit nicht auf Grün schaltete, vermutete sie, dass die Ampel defekt sei. Normalerweise schalten Ampeln mit Kontaktschleifen um, wenn sich ein Verkehrsteilnehmer nähert. In diesem Fall geschah dies jedoch nicht. Die Frau entschied sich in der Folge, die Kreuzung bei Rot zu überqueren. Niemand wurde durch dieses Handeln gefährdet. Die Radfahrerin hätte aber die Möglichkeit gehabt, abzusteigen und die Kreuzung mit Hilfe einer auf der rechten Seite befindlichen, mit einem Anfrageknopf ausgestatteten Fußgängerbedarfsampel zu überqueren.

Das AG Hamburg-Blankenese hatte das Tatgeschehen zunächst als vorsätzlichen, qualifizierten Rotlichtverstoß gewertet und hatte gegen die Frau eine Geldbuße von 100 Euro verhängt (AG Hamburg-Blankenese, Az. 512 OWi 336/22). Begründet wurde dies damit, dass die Ampelanlage nicht defekt gewesen sei und die Radfahrerin die Möglichkeit gehabt hätte, die nahe gelegene Fußgängerampel zu benutzen. Das AG war der Ansicht, dass der Fall der Radfahrerin nicht mit Fällen vergleichbar sei, in denen ein Autofahrer bei einer defekten Ampel nach minutenlangem Warten an einer nicht auf Grün umspringenden Ampel vorsichtig in die Kreuzung hineinfahren dürfe. Selbst wenn die Radfahrerin von einem Defekt der Ampel ausgegangen so hätte sie als Radfahrerin die Kreuzung nicht bei Rot überqueren dürfen. Im Gegensatz zu einem Autofahrer sei es ihr möglich gewesen, abzusteigen und die nur wenige Meter entfernte Fußgängerampel zu benutzen.

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Radfahrer sind nicht Fußgänger

Das OLG kam nun zu einer anderen Auffassung. Eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes scheide nach Ansicht des OLG bereits deswegen aus, da die Radfahrerin einem Tatbestandsirrtum unterlag. Sie ging fälschlicherweise von einem Defekt der Ampel aus. Damit habe sie ohne Vorsatz gehandelt.

Eine Ampel die Rot zeige, stelle einen Verwaltungsakt in Form einer sogenannten Allgemeinverfügung dar. Diese Anordnung verpflichte die Verkehrsteilnehmer, an der betreffenden Kreuzung anzuhalten. Bleibe das Rotlicht jedoch aufgrund eines Fehlers dauerhaft eingeschaltet, sei dieser Verwaltungsakt nichtig. In solchen Fällen dürfe der Verkehrsteilnehmer trotz Rotlicht in den Kreuzungsbereich einfahren, wenn er die erforderliche Sorgfalt beachte. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um einen Auto- oder Radfahrer handele. Dies, so das OLG, gelte auch dann, wenn technische Gründe dazu führen würden, dass bestimmte Verkehrsteilnehmer die Kontaktschleife nicht aktivieren könnten.

Soweit das AG ausgeführt habe, die Radfahrerin hätte absteigen und die nahe gelegene Fußgängerampel benutzen können, habe es nicht berücksichtigt, dass die Frau als Radfahrerin und nicht als Fußgängerin am Verkehr teilgenommen habe. Radfahrer unterliegen laut OLG eigenen Verkehrsregeln und müssten die Lichtzeichen für den Fahrzeugverkehr beachten, solange keine besonderen Lichtzeichen für Radfahrer vorhanden seien. Da es im Fall der Radfahrerin keine solche spezielle Radverkehrsführung gegeben habe, war für sie allein das Dauerrotlicht der Ampel für den Fahrzeugverkehr maßgeblich.

Dennoch hätte die Radfahrerin trotz ihres Irrtums erhöhte Sorgfalt walten lassen müssen, so dass ihr ein fahrlässiger Rotlichtverstoß zur Last gelegt werden könnte. Eine Verletzung dieser Anforderungen, die auf einen Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht hindeute, sei den Ausführungen des AGs jedoch nicht zu entnehmen gewesen. Unklar sei auch gewesen, ob die Kontaktschleife, die die Bedarfsampel aktiviere, überhaupt von Radfahrern ausgelöst werden könne – eine Frage, die das AG nicht abschließend beantwortet hatte. Sollte dies nicht der Fall sein, käme die Ampel faktisch einem absoluten Fahrverbot für Radfahrer gleich, was mit der Straßenverkehrsordnung nicht vereinbar wäre, so das OLG.

Amtsgericht muss über Rotfahrerin erneut entscheiden

Das AG muss nun erneut entscheiden. Das ursprüngliche Urteil des AG wurde vom OLG aufgehoben. In der neuen Verhandlung muss nun geklärt werden, ob die Annahme der Radfahrerin, die Ampel sei defekt, fahrlässig war. Dazu muss zunächst nachgewiesen werden, dass die Kontaktschleife zur Tatzeit überhaupt von Radfahrern ausgelöst werden konnte. Ebenso hält das OLG eine genaue Feststellung der verstrichenen Wartezeit für erforderlich.

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