Inkassounternehmen, die Forderungen einfordern, die überhaupt nicht bestehen, handeln wettbewerbswidrig. Der BGH entscheid, dass dies auch gilt, wenn die falsche Forderung auf einem Identitätsdiebstahl beruht, der dem Unternehmen nicht bekannt war.

Vor Identitätsdiebstahl fürchten sich viele Menschen. Für eine Frau aus Hamburg wurde es leider Realität. Völlig unerwartet erhielt sie Post von einem Inkassounternehmen, das sie zur Zahlung von circa 650 Euro aufforderte. Grund dafür war ein Mobilfunkvertrag aus dem Jahr 2017. Allerdings hatte die Frau diesen Vertrag selbst nie geschlossen – jedoch eine unbekannte Person mit ihren Daten. Ein Verbraucherschutzverband, an den sich die Betroffene wandte, mahnte daraufhin das Inkassounternehmen erfolgslos wegen unlauterer Geschäftshandlungen ab. Auch eine Unterlassungsklage vor dem Landgericht Hamburg blieb ohne Erfolg. Jedoch bekam der Verbraucherschutzverband sowohl vor dem Oberlandesgericht als auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) Recht und das Inkassounternehmen darf die Zahlung nun nicht mehr einfordern (BGH, Urteil v. 20.10.2021, Az. I ZR 17/21).

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Unrichtige Zahlungsforderungen sind unlautere Geschäftshandlungen

Der BGH stellte in seiner Entscheidung fest, dass die Zahlungsaufforderung des Unternehmens eine irreführende geschäftliche Handlung gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 Fall 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellt. Denn nach der Vorschrift ist eine geschäftliche Handlung dann irreführend und untersagt, wenn sie unwahre Tatsachen enthält. Da das Vertragsverhältnis zwischen der Frau und dem Mobilfunkanbieter nie entstanden ist, handelt es sich unstreitig um eine unwahre Tatsache.

Auch sieht der BGH die Forderung als geeignet zur Täuschung an. Es ist mithin umstritten, ob im Falle unwahrer Tatsachen eine Geeignetheit zur Täuschung überhaupt vorliegen muss. Der I. Zivilsenat des BGH sieht das Vorliegen einer solchen durch das OLG aber als rechtsfehlerfrei festgestellt an, weshalb es dahinstehen könne, ob auf dieses Erfordernis verzichtet werden könnte. Zwar werde man im Fall eines behaupteten Vertrags über Mobilfunkleistungen nicht stets annehmen können, dass der Verbraucher nicht mehr wisse, ob er den Vertrag geschlossen habe oder nicht. Es reiche aber eine abstrakte Eignung zur Täuschung aus, die hier zu bejahen sei.

Die irreführende Angabe sei geeignet, die betroffene Frau zu einer Zahlung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getätigt hätte. Denn selbst wenn ein aufmerksamer Durchschnittsverbraucher wisse, dass er das geforderte Entgelt nicht schulde, sei eine Aufforderung zur Erfüllung des behaupteten Vertrags geeignet, einen erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrskreises zu einer geschäftlichen Entscheidung in Gestalt der Zahlung zu veranlassen. Das gelte insbesondere bei Mobilfunkverträgen über Telefon und Internet, da diese so zahlreich und leicht zugänglich sind. Nach Zugang einer solchen Zahlungsaufforderung würden viele Betroffene versehentlich einen nicht mehr erinnerten Vertragsabschluss annehmen und die vermeintliche Forderung vorsichtshalber begleichen.

Identitätsdiebstahl wird nicht berücksichtigt

Dass das Inkassounternehmen einem Irrtum unterlag, der ihm aufgrund des Identitätsdiebstahls nicht vorwerfbar ist, spielt für die Beurteilung der unlauteren Handlung keine Rolle. Der Irrtum könne nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, so die Richter des BGH. Denn für den Tatbestand der Irreführung nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG sei es nicht erforderlich, dass der Handelnde vorsätzlich handelt. Dies ergebe sich auch aus dem Europarecht. Die Annahme einer irreführenden Handlung im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt, dessen Umsetzung § 5 UWG dient, setze grundsätzlich nicht voraus, dass der Gewerbetreibende vorsätzlich eine objektiv falsche Angabe macht.

BGH ändert seine Meinung

Weiterhin äußert sich der I. Zivilsenat zu der Frage, ob auch gegen Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG verstoßen werde. Nach dieser Vorschrift stellt die gegenüber Verbrauchern erfolgte Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter, aber gelieferter Waren oder erbrachter Dienstleistungen oder eine Aufforderung zur Rücksendung oder Aufbewahrung nicht bestellter Sachen eine Handlung dar, die stets unzulässig ist. Bislang ging die höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass diese Norm schon dann erfüllt sei, wenn eine Produktlieferung oder die Erbringung einer Dienstleistung nur angekündigt werde. Nun sieht der BGH aber die tatsächliche Lieferung oder das tatsächliche Erbringen der Dienstleistung als erforderlich an. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut und folge zudem aus der europarechtskonformen Auslegung. Das Urteil besagt ausdrücklich, dass nunmehr an der früheren Rechtsprechung des I. Zivilsenats nicht mehr festgehalten werde.

ses