In seiner jüngsten Entscheidung befasste sich der EuGH mit der Frage, ob eine unzutreffende Gesundheitsempfehlung eines unabhängigen Zeitungskolumnisten zu einer verschuldensunabhängigen Produkthaftung der herausgebenden Zeitung führt. Da es sich bei einem Gesundheitstipp nicht um ein körperliches Produkt handelt, sah der Gerichtshof den Anwendungsbereich der Europäischen Produkthaftungsrichtlinie allerdings gar nicht erst als eröffnet an.

Die Klage einer Abonnentin des österreichischen Boulevardmagazins “Kronen-Zeitung” landete, nachdem sich der österreichische Oberste Gerichtshof in der Sache nicht sicher war, vor dem EuGH (Urt. v. 10.06.2021, Az. C-65/20).

Die Klägerin hatte im Dezember einen Beitrag des “Kräuterpfarrers Benedikt” gelesen, in dem empfohlen wurde, Rheumaschmerzen durch eine Auflage aus geriebenem Kren (Meerrettich) zu lindern. In dem Beitrag hieß es, die Auflage solle zwei bis fünf Stunden angewendet werden. Tatsächlich aber wird empfohlen, die Anwendung nicht länger als zwei bis fünf Minuten durchzuführen. Anstelle von “Stunden” hätte es in dem Artikel daher “Minuten” heißen müssen.

Die Klägerin befolgte den Rat wie beschrieben und brachte den Kren für etwa drei Stunden an ihrem Fußgelenk an. Infolgedessen erlitt sie durch die im Meerrettich enthaltenen scharfen Senföle eine toxische Kontaktreaktion der Haut, welche starke Schmerzen hervorrief.

Da die Klägerin der Ansicht war, einen Schaden erlitten zu haben, erhob sie gegen den KRONE-Verlag Klage auf Schadensersatz für den ihr durch die Körperverletzung entstandenen Schaden. Nachdem die Klage in erster Instanz abgewiesen worden war, legte sie Revision vor dem Obersten Gerichtshof ein, der die ganze Sache schließlich im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vorlegte.

Verschuldensunabhängige Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie

Da sich eine Haftung des KRONE-Verlags höchstens aus den Vorschriften der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 ergeben konnte, musste der EuGH entscheiden, ob diese überhaupt anwendbar ist. Gemäß der Richtlinie haftet der Hersteller eines fehlerhaften Produkts verschuldensunabhängig für Schäden, die durch den Gebrauch des Produktes entstehen. Es genügt also bereits, dass ein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht wird. Treten dann aufgrund der Fehlerhaftigkeit Schäden auf, beispielsweise weil das Produkt nicht die Sicherheit bietet, die man von einem Produkt dieser Art erwarten darf, haftet der Hersteller.

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Gesundheitstipp ist kein “fehlerhaftes Produkt”

Ob die Produkthaftungsrichtlinie überhaupt anwendbar ist, hing hier maßgeblich davon ab, ob es sich bei dem Gesundheitsratschlag des Bruder Benedikts um ein Produkt handelt.

Dies verneinte der EuGH. Zur Begründung führte er aus, dass die Richtlinie allein körperliche Gegenstände als Produkt erfasse. Eine Verbraucherempfehlung in einer Zeitungskolumne sei aber kein körperlicher Gegenstand, da sie nicht die Zeitung als körperliches Produkt betreffe, sondern vielmehr eine nicht verkörperte Dienstleistung darstelle.

Auch begründe die Tatsache, dass sich der Ratschlag auf den Gebrauch einer anderen körperlichen Sache beziehe, noch keine Produkteigenschaft des Ratschlags selbst. Denn die Empfehlung bezog sich in keiner Weise auf den Umgang mit der Zeitung an sich. Eine Haftung des KRONE-Verlags nach der Produkthaftungsrichtlinie besteht aber nur für ihr Produkt, also die verkörperte Zeitung. Da der Schaden der Klägerin also nicht aus dem Produkt des KRONE-Verlags stammte, lehnte der EuGH die Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie ab.
Wer also gerne Empfehlungen aus Zeitungen folgt sollte bedenken: guter Rat ist nicht nur teuer, schlechter Rat ist oft entschädigungslos.

lpo