Das sogenannte „Inbox advertising“, bei dem Werbebanner im Postfach von kostenlosen E-Mail-Diensten angezeigt werden, hat wahrscheinlich mittlerweile jeder schon einmal gesehen. Doch wie viele Werbepraktiken könnte dies nicht nur lästig sein, sondern auch wettbewerbswidrig. Der EuGH hat nun die Frage beantwortet, ob und unter welchen Umständen solche Nachrichten unter Berücksichtigung des EU-Rechts zulässig sein können.

Werbung im Internet ist heutzutage fast unvermeidlich. Ob als Banner auf Webseiten oder durch Influencer in den sozialen Medien, überall taucht sie auf. Für Unternehmen ist es deshalb durchaus attraktiv, stets neue und kreative Werbemöglichkeiten zu finden, um potentielle Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Der Stromlieferant eprimo schaltete deshalb über eine Werbeagentur sogenanntes Inbox advertising. Dabei wird Werbung für eprimo in den E-Mail-Postfächern von Kunden des kostenfreien Dienstes von T-Online angezeigt, die sich optisch wenig von echten E-Mails unterscheidet. Der konkurrierende Stromlieferant Städtische Werke Lauf a. d. Pegnitz GmbH (StWL) war der Ansicht, dass dies eine unzulässige Werbepraxis sei, die gegen die Vorschriften des unlauteren Wettbewerb verstieße.

Nachdem StWL zunächst vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth Recht bekam, unterlag es im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Nürnberg, das die Werbemaßnahme als zulässige geschäftliche Handlung einstufte. StWL legte deshalb Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ein, der wiederum Fragen zur Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegte. Dieser entschied nun darüber, wie die entscheidenden Fragen unter Berücksichtigung von europäischem Recht zu beantworten sind (Urteil v. 25.11.2021, Rechtssache C-102/20).

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Werbung ist geeignet, die Privatsphäre zu verletzen

Der EuGH kontrollierte in der Vorabentscheidung, ob die Art der Werbung mit der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (2002/58) vereinbar ist. Die Richtlinie soll vor Verletzung der Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Werbezwecke schützen. Davon umfasst werden insbesondere automatische Anrufe und SMS, aber auch unerbetene elektronische Post. Die Richter in Luxemburg stellen diesbezüglich noch einmal klar, dass der Schutz der Richtlinie recht weitreichend sei. Bei der Auslegung müssten aus technologischer Sicht entwicklungsfähige Begriffe für die Arten der Kommunikation zugrunde gelegt werden, damit die Privatsphäre auch vor Eingriffen durch neue Kommunikationswege geschützt wird. Die Werbenachrichten von eprimo stellen deshalb laut EuGH elektronische Post dar. Diese sei auch grundsätzlich dazu geeignet, die Nutzer des T-Online E-Mail-Dienstes in ihrer Privatsphäre zu beeinträchtigen.

Zudem ist der Gerichtshof der Auffassung, dass bereits die Art der Werbenachrichten, die die Bewerbung von Diensten zum Gegenstand haben, und der Umstand, dass sie in der Form einer E-Mail verbreitet werden, es erlauben, diese Nachrichten als „Nachrichten für die Zwecke der Direktwerbung“ im Sinne der Richtlinie einzustufen. Dabei soll dem Umstand, dass die Empfänger der Werbenachrichten nach einem Zufallsprinzip ausgewählt werden, keinerlei Bedeutung zukommen. Entscheidend sei nur, dass die Nutzer direkt und individuell angesprochen werden.

Direktwerbung erfordert Einwilligung des Empfängers

Weiterhin stellt der EuGH klar, dass das Versenden von Direktwerbung als elektronische Post nur erlaubt sei, wenn der Empfänger vorher eingewilligt hat. Eine solche Einwilligung muss in einer Willensbekundung der betroffenen Person zum Ausdruck kommen, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt.

Im vorliegenden Fall kommt eine Einwilligung dadurch infrage, dass der kostenlosen E-Mail-Dienst nur mit Werbung angeboten wird. Wer möchte, könnte T-Online auch kostenpflichtig ohne Werbung nutzen – die Wahl liegt beim Nutzer. Doch der EuGH lässt die Frage letztlich offen, ob das kostenlose Angebot T-Onlines tatsächlich zur Verbreitung des Inbox advertising berechtigt. Diese Frage wird ausdrücklich noch der BGH zu klären haben. Das liegt daran, dass die Antwort nicht im europäischen Recht zu finden ist, welches ausschließlicher Gegenstand von Vorabentscheidungen nach Art. 267 AEUV ist. Zur Beantwortung dieser Frage wird der BGH klären müssen, ob T-Online ordnungsgemäß über die genauen Modalitäten von Werbung informiert hat, sodass die Nutzer auch konkret in den Empfang von Werbenachrichten eingewilligt haben.

Entscheidung des BGH steht noch aus

Nicht vom EuGH entschieden wurde weiterhin, ob die Gestaltung des Inbox advertising gleichermaßen belästigend ist wie Spam-Mails. Nach Ansicht der Richter in Luxemburg sei es nicht Aufgabe der Richtlinie festzustellen, ob die Belastung des Nutzers über die Schwelle der Belästigung hinausgeht. Der BGH dürfte sich also auch noch mit der Frage beschäftigen, ob die Werbenachrichten belästigende Werbung darstellen oder nicht. Allerdings äußert der EuGH schon, dass die Werbung europarechtlich als hartnäckig und unerwünscht einzustufen sei, wenn sie echten E-Mails zu stark ähnelt. Das gelte vor allem, wenn das Inbox advertising häufig und regelmäßig angezeigt wird.

Dem BGH wird bei seinen Verhandlungen demnach noch ein gewisser Spielraum bleiben und die Entscheidung ist durch das Urteil des EuGH nicht genau vorhersehbar. Insbesondere werden die Richter in Karlsruhe die Nutzungsbedingungen des kostenlosen Dienstes von T-Online und die genaue Gestaltung der eprimo-Werbung untersuchen müssen.

ses