Wenn ein Online-Portal es Arbeitnehmern ermöglicht, ohne direkten persönlichen Kontakt mit einem Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten, so sei dies wettbewerbswidrig. Das entschied nun das OLG Hamburg.

Ein Unternehmen bot seinen Kunden an, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (sogenannte AU-Scheine) durch einen mit ihm kooperierenden Arzt im Rahmen einer Ferndiagnose zu erhalten. Hierfür musste der Erkrankte mehrere vorformulierte Fragen online beantworten. Dieses Vorgehen stufte das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg nun als wettbewerbswidrig ein (Beschl. v. 29.09.2021, Az. 3 U 148/20).

Krankschreibung durch Ausfüllen eines Fragebogens

Das Unternehmen hatte für digital ausgestellte Krankschreibungen ohne Arztkontakt geworben. Diese waren auf Bestellung über eine Online-Plattform erhältlich. Auf der Seite musste der Besteller einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen Fragebogen ausfüllen. Dort konnte er Symptome auswählen und ankreuzen und erhielt anschließend vorgefertigte Fragen dazu. Außerdem konnte die gewünschte Dauer der Krankschreibung von 1-3 Tagen angegeben werden.

Im Anschluss an dieses Verfahren erhielt der Besteller eine von einem Privatarzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die gestellte Diagnose beruhte hierbei ausschließlich auf den beantworteten vorformulierten Fragen und angeklickten Symptomen des Bestellers – eine Untersuchung des Patienten fand nicht statt.

Dieses Vorgehen beanstandete die Wettbewerbszentale unter anderem als Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen. Sie ging deshalb gerichtlich dagegen vor.

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Verstoß gegen § 9 HWG

Das Landgericht (LG) Hamburg hatte die Werbung entsprechend der Klage der Wettbewerbszentrale zunächst untersagt (Urt. v. 21.07.2020, Az. 406 HKO 165/19). Nun hat auch das OLG Hamburg die Berufung des Unternehmens zurückgewiesen und das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Das Bewerben der Plattform verstoße gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen nach § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG) und sei damit unlauter i.S.d. § 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).

Die Werbung für Fernbehandlungen sei nämlich nach § 9 S. 2 HWG nur zulässig, wenn die Einhaltung anerkannter fachlicher Standards sichergestellt ist. Das Modell, wonach die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne persönlichen Kontakt zu einem Arzt ausgestellt wird, entspricht nach Auffassung der Richter gerade nicht diesen fachlichen Standards.

Die Grundlage für den „allgemein anerkannten fachlichen Standard“ bilde die Musterberufsordnung für Ärtzinnen und Ärzte (MBO-Ä). Nach dieser Musterberufsordnung wäre eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der medizinischen Vertretbarkeit einer ausschließlichen Fernbehandlung nötig, die aber gerade nicht erfolgte. Weil eine solche Einzelfallprüfung fehlte, greife die Ausnahme des § 9 S. 2 HWG nicht und die Werbung sei unzulässig.

Das Unternehmen habe damit argumentiert, dass bereits 70.000 Ferndiagnosen ohne eine einzige Fehldiagnose gestellt wurden. Das OLG entgegnete dem, dass es auf diesen „Erfolg“ nicht ankomme, da der Einwand keinen Wegfall der notwendigen Prüfung im Einzelfall bewirke.

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Außerdem sei nach § 4 Abs. 1 S. 1 der AU-Richtlinie bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit der körperliche, geistige und seelische Gesundheitszustand des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen, weshalb die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund einer unmittelbar persönlichen ärztlichen Untersuchung erfolgen dürfe. Nach § 4 Abs. 5 der AU-Richtlinie könne die Arbeitsunfähigkeit zwar auch mittelbar persönlich im Rahmen von Videosprechstunden festgestellt werden. Dies sei jedoch nur zulässig, wenn der Versicherte dem Vertragsarzt oder einem anderen Vertragsarzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt ist und die Erkrankung dies nicht ausschließt. Vorliegend wurde jedoch weder eine Videosprechstunde angeboten, noch waren die Kunden dem Aussteller des AU-Scheins bereits bekannt.

Irreführende Aussagen

Im Übrigen seien auch in der Werbung verwendete Angaben wie „100 % gültiger AU-Schein“ sowie „100 % Akzeptanz bei Arbeitgebern und Krankenkassen“ irreführend. Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Arbeitgeber bzw. die Krankenkasse bei Kenntnis der Umstände, die zur Erteilung der AU-Bescheinigung geführt haben, die Bescheinigungen zurückweisen werde. Eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, wie sie für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall notwendig sei, liege gerade nicht vor.

lrü