Der Albtraum eines jeden Reisenden: Der Flieger ist zu spät! Immerhin: Ab einer Verspätung von drei Stunden steht den Fluggästen nach der EU-Fluggastrechte-Verordnung in den meisten Fällen eine Entschädigung zu. Ob diese Entschädigung aber auch dann gilt, wenn die Reise in einem EU-Land startete, die Verspätung aber einen Anschlussflug außerhalb der EU betraf, musste nun der BGH entscheiden.

Entschädigungen von 250 € bis hin zu 600 € pro Person könnten das Ärgernis einer (mindestens dreistündigen) Flugverspätung wohl ein wenig erträglicher machen. Wie sich aus dem Namen der „EU-Fluggastrechte-Verordnung“ herauslesen lässt, handelt es sich um eine Regelung der Europäischen Union. Was aber, wenn ein Flug aus einem Mitgliedstaat der EU abhebt, für einen Zwischenstopp in den USA landet und sich von dort aus verspätet? Darf ein Fluggast auch eine Ausgleichszahlung erwarten, wenn er pünktlich von beispielsweise Frankfurt nach New York City fliegt, der Weiterflug nach Los Angeles aber drei Stunden verspätet ist? Schließlich hat der Flug von „NYC“ nach „LA“ nicht mehr wirklich etwas mit der EU zu tun. Dieser Frage musste nun der Bundesgerichtshof (BGH) nachgehen und bejahte diese in seinem Urteil (Urt. v. 16.06.2023, Az. X ZR 15/20).

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Wer eine mit Umstiegen verbundene Flugreise bucht und in einem EU-Land startet, hat demnach auch dann einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, wenn die Verspätung erst bei einem der späteren Teilflüge außerhalb der EU auftritt. Dieser Anspruch besteht selbst dann, wenn die Teilflüge mit unterschiedlichen Airlines durchgeführt wurden. Es sei ausreichend, wenn die Flüge von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurden und ein einheitlicher Flugschein im Sinne der EU-Fluggastrechte-Verordnung ausgegeben wurde – so der BGH.

Vierstündige Verspätung außerhalb der EU

Ähnlich wie in dem Beispielsfall erging es einer Frau, die von Stuttgart über Zwischenstationen nach Kansas City reisen wollte. Eine Frau buchte in einem Reisebüro einen Flug von Stuttgart nach Zürich und dann mit einer anderen Airline weiter von Zürich nach Philadelphia (Pennsylvania). Der letzte Flug ging dann von Philadelphia nach Kansas City (Missouri).

Während die ersten beiden Flüge nach Plan verliefen, startete der Flug auf der letzten Teilstrecke verspätet. Die Frau erreichte Kansas City mit einer Verspätung von mehr als vier Stunden. Aus diesem Grund forderte sie 600 Euro als Ausgleichszahlung. Zunächst ohne Erfolg, denn sowohl das Amtsgericht (AG) Nürtingen als auch das Landgericht (LG) Stuttgart wiesen ihre Forderung ab. Doch die Frau gab jedoch nicht auf, legte Revision ein und zog in Karlsruhe vor den BGH.

Teilflüge sind als Gesamtheit zu betrachten

Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Sodann ist es Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des EuGH zu entscheiden. Diese Möglichkeit nahm der BGH hier wahr und legte die streitige Rechtsfrage dem EuGH vor. Das endgültige Urteil des BGH, dass der Frau 600 Euro nebst Zinsen zustehen, stärkt nun die Fluggastrechte. Denn die Fluggäste können nun gem. Art. 6 der Fluggastrechteverordnung eine Entschädigung auch dann verlangen, wenn der verspätete Flug – oder Anschlussflug – außerhalb der EU startet oder landet. Ausschlaggebend ist, dass die Reise innerhalb der EU angetreten wurde.

Die Entscheidung wurde unter anderem damit begründet, dass die drei Teilflüge als Gesamtheit mit Abflugort in Deutschland zu betrachten sind, weil der Frau eine einheitliche bestätigte Buchung erteilt worden ist. Daran ändert auch nichts, dass die Anschlussflüge von unterschiedlichen Airlines durchgeführt werden. Das Argument, dass die Airline, die den Flug (mit Teilflügen) angeboten hat, nicht für die Verspätung von Teilflügen anderer Airlines verantwortlich sei, sei unbeachtlich.

agü/ezo