Die Presse lebt von Aktualität. Entsprechend schnell muss es auch im Presserecht zugehen. Viele Entscheidungen wie Unterlassungsverfügungen wegen Rechtsverletzungen ergehen im einstweiligen Rechtsschutz. In einem solchen Verfahren wurde auch die Verbreitung eines Interviews des Spiegels vom OLG Hamburg untersagt, ohne dass sich der Verlag dazu äußern konnte. Das BVerfG tadelte dieses Vorgehen nun aber – und das nicht zum ersten Mal.

Im Presserecht wird häufig einstweiliger Rechtsschutz angestrebt. Häufig geht es dabei um Veröffentlichungen, die dazu geeignet sein könnten, das Persönlichkeitsrecht von erwähnten Personen zu verletzen. Liegt eine solche Verletzung vor, wäre es für das Opfer unzumutbar, dass die Verbreitung des Beitrags erst nach einem langen Gerichtsprozess unterbunden würde. Bei der Entscheidung über eine Unterlassungsverfügung muss aber auch die Pressefreiheit hinreichend berücksichtigt werden.

In der ständigen Rechtspraxis war es bis 2018 dennoch gang und gäbe, den Gegner des Antrags, also die Zeitung oder den Verlag, nicht anzuhören. Die Verfahren fanden sehr einseitig statt. Selbst wenn das Gericht Bedenken bezüglich der Begründetheit des Unterlassungsantrags hatte, wurde in der Regel nur mit dem Antragsteller Rücksprache gehalten. Diese Praxis ist durch zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aber beendet worden. Das BVerfG stellte damals klar, dass auch der Gegenseite der Anträge die Möglichkeit einer Anhörung gegeben werden müsse. Andernfalls sei das Recht auf Gehör und die prozessuale Waffengleichheit verletzt (Beschl. v. 30.09.2018, Az. 1 BvR 1783/17; 1 BvR 2421/17).

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg setzte aber auch nach 2018 die veraltete Praxis fort und erließ eine Unterlassungsverfügung gegen den Spiegel, ohne dass der Spiegel angehört wurde (Beschl. v. 01.10.2019, Az. 7 W 89/19). Das Magazin wusste daher von dem Verfahren nichts. Eine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Spiegels hatte nun Erfolg. In seinem Beschluss stellt das BVerfG nicht nur die Rechtsverletzung des Spiegels fest, sondern weist auch das OLG Hamburg entschieden zurecht, da es sich nun schon wiederholt gegen die Rechtsprechung des BVerfG gestellt habe (Beschl. v. 01.12.2021, Az. 1 BvR 2708/19).

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OLG Hamburg übergeht den Spiegel

Auslöser für die Entscheidung des OLG Hamburg war ein vom Spiegel veröffentlichtes Interview. Darin wurde der Name eines Kreuzfahrtunternehmens in Zusammenhang mit Verbrechen und Sicherheitsfragen gebracht. Das Unternehmen mahnte wegen dieser Berichterstattung den Spiegel mit anwaltlichem Schreiben zunächst erfolglos ab.

Das Kreuzfahrtunternehmen stellte deshalb beim Landgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung. Nachdem das Gericht mitteilte, dass der Antrag nicht besonders erfolgsversprechend sei, änderte das Unternehmen seinen Antrag und ergänzte zwei Hilfsanträge, die jedoch auch zurückgewiesen wurden. Daraufhin erhob es Beschwerde zum OLG Hamburg. Vor Gericht wurde in der Folge darauf hingewiesen, dass das Gericht nur einem bestimmten Antrag stattgegeben werde. Das Kreuzfahrtunternehmen nahm daraufhin die restlichen Anträge zurück und hatte letztlich Erfolg. Die Unterlassungsverfügung wurde erlassen und der Spiegel wegen angeblicher Dringlichkeit nicht angehört.

Spiegel wurde im Recht auf Waffengleichheit verletzt

Das Vorgehen des OLG wurde aktuell vom BVerfG beanstandet. Der Beschluss des OLG verletze den Spiegel in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz. Nach Ansicht der Verfassungsrichter sei es Ausprägung dieses Rechts, zumindest überhaupt gehört zu werden und die Gelegenheit zu bekommen, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen.

Ausnahmen vom Grundsatz der Anhörung gebe es nur wenige. In einem presserechtlichen Prozess wie diesem, wäre eine Ausnahme gegeben, wenn die beklagte Zeitung schon zu der Abmahnung ausdrücklich Stellung beziehen konnte und diese Erwiderung dem Gericht auch vorliege. Dies gelte aber nur, wenn die Abmahnung und der Unterlassungsantrag bei Gericht inhaltlich übereinstimmten. Hier habe das Kreuzfahrtunternehmen die Begründung für seinen gerichtlichen Antrag aber in solcher Weise abgeändert, dass dieser nicht mehr der ursprünglichen Abmahnung entsprochen habe. Deshalb hätte das OLG Hamburg den Spiegel anhören müssen, damit dieser hätte Stellung beziehen können. Während das Kreuzfahrtunternehmen durch gerichtliche Hinweise die Möglichkeit bekam, seinen Antrag mehrfach abzuändern, hätte dem Spiegel auch die Möglichkeit gegeben werden müssen, sich zur Sache äußern zu können. Der Verlag solle aber bis zur Entscheidung nicht einmal erfahren haben, dass gegen ihn ein gerichtliches Verfahren laufe.

BVerfG weist das OLG Hamburg zurecht

In seinem Beschluss zur erfolgreichen Verfassungsbeschwerde lässt es sich das BVerfG aber auch nicht nehmen, noch einmal gegen das OLG Hamburg auszuholen. Dadurch, dass der Pressesenat des OLG nun schon mehrfach gegen das Gesetz der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen verstoßen habe, sehen sich die Verfassungsrichter dazu veranlasst, auf die rechtliche Bindungswirkung der bereits 2018 ergangenen Entscheidungen des BVerfG hinzuweisen. Diese Bindungswirkung ergibt sich aus § 31 Abs. 1, § 93c Abs. 1 Satz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Bei wiederholter Missachtung durch das OLG möchte das BVerfG ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder für einen Antrag auf einstweilige Anordnung stets als gegeben ansehen.

ses