Das VG Schleswig hat – wie zuvor der EuGH – bestätigt, dass die Nutzung von Thermofenstern als Abschalteinrichtung unzulässig ist. Die entsprechenden Freigabebescheide für VW-Software-Updates des Kraftfahrt-Bundesamts sind rechtswidrig. Das bedeutet auch: VW droht ein millionenfacher Rückruf.

Die Nutzung von Thermofenstern, die bei einer Außentemperatur von bis zu 10 Grad die Abgasreinigung größtenteils deaktivieren, ist unzulässig. Die Hersteller können sich nicht darauf berufen, dass dies technisch notwendig sei, um Motorschäden zu verhindern, wenn es dafür auch andere technische Maßnahmen gibt. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig festgestellt (Urt. v. 20.02.22, Az. 3 A 113/18)

Deutsche Umwelthilfe klagt gegen Freigabebescheide

Geklagt hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Das KBA hat im Zuge des Dieselskandals von 2015 den Autohersteller VW verpflichtet, die Abschalteinrichtung zu entfernen, die den Schadstoffausstoß nur bei Prüfungen unter die gesetzlichen Grenzen reduzierte. Betroffen war damals zunächst der EA 189-Motor, erst später zeigte sich das Ausmaß des Diesel-Skandals. Zur Umsetzung dieser Pflicht wurde ein Software-Update auf die betroffenen Fahrzeuge aufgespielt, das in einem Zuge das neue Thermofenster eingebaut oder, sofern es bereits eingebaut war, nicht deaktiviert hat. Für das streitgegenständliche Thermofenster erteilte es allerdings einen Freigabebescheid, der die Abschalteinrichtung als zulässig einstuft.

Die Deutsche Umwelthilfe griff diese Freigabebescheide an und forderte vom KBA, eine Entfernungsanordnung an VW zu erlassen, sodass die Thermofenster ausgebaut werden. Das Verfahren wurde aufgrund der fraglichen Klagebefugnis der DUH zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt, der der DUH ein Klagerecht zubilligte. Zudem musste der EuGH im Wege der Vorlagefrage über die Auslegung der europäischen Ausnahmevorschriften entscheiden, die in Einzelfällen die Nutzung einer Abschalteinrichtung erlauben.

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VW: Abschalteinrichtung aus Motorschutzgründen unerlässlich

Ein rechtlich anerkannter Ausnahmefall, der die Nutzung einer Abschalteinrichtung erlaubt, liegt gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dann vor, wenn diese Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Der EuGH urteilte im Vorlageverfahren, dass die Zulässigkeit aus Motorschutzgründen eng auszulegen sei.

Die Abschalteinrichtung müsse sich auf plötzlich auftretende Schäden am Motor selbst beschränken. Zudem dürfe keine andere technische Möglichkeit bestehen, dem Problem am Motor zu begegnen. Im Ergebnis dürfe die Ausnahme nicht zur Regel werden. Eine Abgasreinigung, die aufgrund der Abschalteinrichtung überwiegend nicht ordnungsgemäß arbeite, könne daher nicht unter den Ausnahmetatbestand fallen.

Im Verfahren vor dem VG Schleswig argumentierten die Vertreter von VW gegenüber dem KBA mit genau diesen drohenden Motorschäden. Ohne die Abschalteinrichtung würde bei einer Überhitzung des Motors riskiert werden, dass das Fahrzeug in Brand gerate. Die DUH kritisiert, dass diese Aussage nicht belegt wurde und der Gefahr im Übrigen durch den Einbau eines SCR-Katalysators entgegengewirkt werden könne.

VG Schleswig: Abschalteinrichtung illegal

Das VG Schleswig folgte in seinem Urteil der Argumentation der Umweltschützer. Die in diesem Verfahren verwendete Abschalteinrichtung sei nicht notwendig, um Beschädigungen am Motor zu verhindern. Die von VW im Prozess genannten Extremszenarien seien keine plötzlich auftretende Schäden im Sinne der europäischen Vorgaben. Eine Ausweitung der vorgetragenen möglichen Schäden auf andere Fahrzeugteile sei ebenso unzulässig, da der EuGH unter dem Begriff des Motors ausschließlich die Kraftmaschine erfasse. Die Kammer ordnete daher gegenüber dem KBA an, dass es gegen die unzulässigen Abschalteinrichtungen vorgehen müsse.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das VG ließ in diesem Verfahren sowohl die Berufung zum Oberverwaltungsgericht als auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Für den Fall, dass das Urteil in dieser Form rechtskräftig wird, drohen Rückruf und Nachrüstung von – laut DUH-Angaben – bis zu 10 Millionen Fahrzeugen. Die DUH hat nach eigener Aussage bereits 118 weitere Klagen gegen Freigabebescheide für verschiedene Fahrzeughersteller eingereicht.

Schadensersatz für mehr Kunden?

In einem anderen Vorlageverfahren wird der EuGH am 21. März 2023 weitere bedeutende Fragen rund um Schadensersatz für Fahrzeuge klären, die vom Abgasskandal betroffen sind. Während der Bundesgerichtshof (BGH) bisher eine Haftung der Fahrzeughersteller nur bei einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung annimmt, spricht sich der EuGH-Generalanwalt für eine Haftung bereits bei Fahrlässigkeit ein.

Auch die bisher praktiziere Nutzungsentschädigung steht auf dem Prüfstand. Vielfahrern steht aktuell zum Teil aufgrund der gefahrenen Kilometer kein Schadensersatz zu. Der EuGH-Generalanwalt spricht sich auch hier für eine verbraucherfreundlichere Auslegung aus. In beiden Vorlagefragen würde eine Bestätigung des Generalanwalts neue und vereinfachte Klagemöglichkeiten für Verbraucher bedeuten.