Nur weil kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, heißt das nicht, dass die Staatsanwaltschaft nicht auch im Fall von Vorermittlungen informieren muss. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin muss der Presse somit die Fragen zu strafrechtlichen Vorermittlungen gegen Christian Lindner beantworten. Das hat das OVG Berlin-Brandenburg jetzt rechtskräftig entschieden.

Es begann im Herbst 2022: Der Spiegel hatte in einem Bericht ein Grußwort Lindners bei einer Bank kritisiert, bei der Lindner auch einen Kredit aufgenommen hatte. Nachdem in diesem Zusammenhang der Vorwurf von Korruption lautgeworden war, erklärte die Berliner Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung, sie prüfe die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Finanzminister Christian Lindner. Diesen Umstand, dass die Generalstaatsanwaltschaft prüfe, ob der Anfangsverdacht einer Straftat gegen Christian Lindner vorliege, machte der Tagesspiegel am 8. Januar 2023 in einem Exklusivbericht öffentlich. Ende Januar gab die Behörde bekannt, dass sie mangels strafbaren Verhaltens keine Ermittlungen aufnehmen werde.

In diesem Zusammenhang stellte der Tagesspiegel der Generalstaatsanwaltschaft Berlin jedoch neun Fragen. Generalstaatsanwältin Margarete Koppers verweigerte die Beantwortung unter anderem mit der Begründung, dass sie zum Schutz der Beteiligten bei Vorermittlungen grundsätzlich keine Auskünfte erteilen dürfe. Zu Unrecht, wie nach dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin nun auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtskräftig entschieden hat (Beschl. v. 24.07.2023, Az. 6 S 26/23).

Abwägung der Grundrechte auch bei Vorermittlungen

Das erste Argument der Generalstaatsanwältin, wonach eine Auskunftserteilung der Strafverfolgungsbehörden an die Presse frühestens ab Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zulässig sei, ließ das Gericht nicht gelten. Einen solchen Grundsatz gebe es nicht. Vielmehr sei stets eine Abwägung zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen und der Pressefreiheit vorzunehmen. Zwar falle diese Abwägung bei einer reinen Vorabprüfung in der Regel zugunsten des Betroffenen aus, da es in dieser Situation regelmäßig an einem Mindestmaß an beweisbaren Tatsachen fehle. Dies bedeute jedoch nicht, dass zu Vorermittlungen, in denen geprüft werde, ob hinreichende Anhaltspunkte für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorlägen, in keinem Fall Stellung genommen werden dürfe. Dies sei hier insbesondere deshalb der Fall, weil die Staatsanwaltschaft selbst zuvor die Vorermittlungen gegen Lindner bekanntgegeben habe.

Soforthilfe vom Anwalt

Sie brauchen rechtliche Beratung? Rufen Sie uns an für eine kostenlose Ersteinschätzung oder nutzen Sie unser Kontaktformular.

Wir sind bekannt aus

Im Übrigen beanstandete die Generalstaatsanwaltschaft, dass eine Berichterstattung auf der Grundlage der vom Tagesspiegel erbetenen Informationen rechtswidrig gewesen wäre. Sie hielt die Berichterstattung für unzulässig, weil sich die begehrte Auskunft auf einen Sachverhalt beziehe, der nach einer Vorprüfung bereits abgeschlossen und nicht Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens gewesen sei. Nach Auffassung des Gerichts rechtfertige dies jedoch nicht die Annahme einer unzulässigen Berichterstattung. Hierzu müsse die Generalstaatsanwaltschaft vielmehr darlegen, warum nach Auskunftserteilung eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine persönlichkeitsrechtsverletzende und damit rechtswidrige Berichterstattung bestanden hätte.

Presse entscheidet, welche Themen Nachrichtenwert haben

Drittens argumentierte die Generalstaatsanwaltschaft, dass eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Ministers zugunsten des Ministers ausfallen müsse. Nach Auffassung des Gerichts habe die Generalstaatsanwaltschaft jedoch nicht dargetan, dass die Berichterstattung über die Vorermittlungen jedenfalls zu einer dauerhaften Stigmatisierung des Finanzministers geführt hätte. Mangels entsprechender anderer Anhaltspunkte sei vielmehr vom Grundsatz auszugehen, dass die Presse mit den ihr anvertrauten Informationen über Betroffene verantwortungsvoll umgehe und nicht über alles berichte, was ihr bekannt werde.

Auch das letzte Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft wies das OVG zurück. Diese hatte bemängelt, dass das VG Berlin bereits die einstweilige Anordnung nicht habe erlassen dürfen, da der Fall keinen Nachrichtenwert biete. Das sah das OVG jedoch anders: Es sei Aufgabe der Presse selbst zu entscheiden, welche Themen berichtenswert seien und nicht Aufgabe der Gerichte. Das VG habe sich somit zu Recht mit einer Einschätzung zurückgehalten.

Der Tagesspiegel hat in dieser Sache bisher auf ganzer Linie Recht bekommen: Bereits im Juni hatte das VG Berlin entschieden, dass auch das Bundesfinanzministerium die Presseanfragen beantworten müsse (Beschl. v. 26.06.2023, Az. VG 27 L 28/23).

lyt