„Gaffer“, also Schaulustige, die ein für sie spannendes Geschehen aus Neugier beobachten, gibt es an fast jeder Unfallstelle. Durch das Schießen von Fotos oder durch Filmaufnahmen kann man das Persönlichkeitsrecht der jeweiligen Unfallopfer verletzen. Oftmals stören und behindern die Zuschauer eines Unfalls auch die Rettungskräfte. Letzteres ist bei den Zuschauern der Fernsehsendung „Lebensretter hautnah – Wenn jede Sekunde zählt“ jedoch nicht der Fall, denn bei dieser können Rettungseinsätze zuhause vor dem Fernseher verfolgt werden. Nachdem in einer der Episoden die akuten Folgen eines epileptischen Anfalls in Nahaufnahme gezeigt wurden, beanstandete die Landesmedienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein jedoch die Sendung – zu Recht?

In der TV-Doku „Lebensretter hautnah – Wenn jede Sekunde zählt“ geht es um die nervenaufreibende Arbeit von Rettungskräften. So ist es dem Zuschauer möglich, Hubschraubereinsätze, Messerstechereien und Reanimationen vor dem Fernseher mitzuverfolgen. Trotz der Kameras soll die Versorgung der Patienten und der Schutz der Persönlichkeitsrechte im Vordergrund stehen. In einer am 2. November 2020 um 20:15 ausgestrahlten Episode wurde eine unverpixelte Darstellung der akuten Folgen eines epileptischen Anfalls in Nahaufnahme ausgestrahlt. Die Landesmedienanstalt Hamburg Schleswig-Holsteinsah darin einen Verstoß gegen die Menschenwürde und beanstandete die Sendung. Dagegen wandte sich wiederum die Seven.One Entertainment Group, zu der Fernsehsender wie ProSieben, Sat.1 und Kabel Eins gehören. Nun hob das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig den Bescheid zugunsten der Seven.One Entertainment Group auf (Urt. v. 11.10.2023, Az. 11 A 185/21). 

Die Menschenwürde in den Programmgrundsätzen

Zu den Aufgaben von Medienanstalten gehört es, die von ihnen zugelassenen Rundfunkprogramme zu beaufsichtigen sowie die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu den Programmgrundsätzen zu überprüfen. So müssen Fernsehveranstalter in ihren Sendungen neben der journalistischen Sorgfaltspflicht und der Rechtsordnung insbesondere auch die Menschenwürde achten. Im Rahmen ihrer Aufgaben führen die Medienanstalten regelmäßig Programmbeobachtungen durch und gehen Hinweisen zu problematischen Inhalten von Zuschauern nach. Die Landesmedienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein war der Ansicht, dass die TV-Doku mit Ausstrahlung der fraglichen Szene die Voraussetzungen der Programmgrundsätze, konkret die Achtung der Menschenwürde, nicht ausreichend berücksichtigt habe.

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Die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) genießt obersten Verfassungswert. Jedem Menschen steht ein fundamentaler Wert- und Achtungsanspruch zu. Dieser Achtungsanspruch kann unter anderem dann verletzt werden, wenn Personen in Sendungen zum Objekt der Sensationslust gemacht werden, beispielsweise durch eine dramaturgische Aufbereitung von Berichterstattungen über Unglücksfälle, wenn dessen Leid in nicht angemessener Art und Weise emotionalisiert wird.

Gesamtcharakter entscheidet über Verletzung der Menschenwürde

Die Aufhebung des Bescheids der Lan­des­me­di­en­an­stalt Ham­burg Schles­wig-Hol­stein begründete das VG Schleswig damit, dass in den beanstandeten Szenen keine zielgerichteten, den Achtungsanspruch des Menschen negierende Darstellung zu erkennen gewesen seien. Das Gericht führte aus, dass bei einem in Frage stehenden Verstoß gegen die Menschenwürde auch der Gesamtcharakter der Sendung zu beachten sei. Die beanstandete TV-Doku weise keine menschenfeindliche Stoßrichtung auf, sondern sei vielmehr eine realitätsnahe Dokumentation der Arbeit von Rettungskräften.

Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, sodass die Landesmedienanstalt binnen eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe die Zulassung der Berufung beantragen kann.

jsc